Wenn unternehmensleitende Organe – schwerpunktmäßig der Vorstand – die Bilanzen eines Unternehmens vorsätzlich fälschen und Anleger am Kapitalmarkt somit zum Wertpapierkauf verleiten, stellt sich für die betroffenen Anleger die Frage nach der Möglichkeit, Schadensersatz zu fordern. Der vermutlich prominenteste Fall der letzten Jahre ist der Fall der Wirecard AG. Dieser stellte nicht nur den umfangsmäßig größten Kapitalmarktbetrug in Deutschland überhaupt dar, sondern ließ auch die zuständigen staatlichen Behörden in einem mehr als fragwürdigen Licht dastehen.
Das OLG München hat sich in einem Urteil vom 11.11.2021 (Az. 8 U 5670/21) mit Fragen der Haftung und der Zwangsvollstreckung gegen den Vorstandsvorsitzenden auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Arrestklägerin war eine Aktionärin der Wirecard AG, Arrestbeklagter der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. Die Klägerin hatte den Beklagten in der Hauptsache auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264a StGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 331 HGB, 400 AktG in Höhe von ca. 12.000 € in Anspruch genommen.
Der Anspruch entsprach dem Kaufpreis von Aktien der Wirecard AG, die die Klägerin aufgrund der vom Unternehmen veröffentlichten Bilanzen erworben hatte. Diese Aktien hatten in der Insolvenz der Gesellschaft ihren Wert vollständig verloren. Die Klägerin sah dies als einen wirtschaftlichen Schaden an, den sie vom letztverantwortlichen Vorstandsvorsitzenden ersetzt haben wollte.
Zur Sicherung ihres Schadensersatzanspruches beantragte sie eine vorläufige Arrestanordnung gegen den Beklagten vor dem zuständigen LG München I nach § 916 ZPO. Das LG München I hatte den Eilantrag in einem Urteil vom 08.07.2021 (Az. 27 O 8211/21) abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren vor dem OLG München weiter.
Strafbarkeit und Schadenersatzanspruch
In § 823 Abs. 2 BGB ist der Fall geregelt, dass durch den Verstoß gegen ein Schutzgesetz ein Schaden verursacht wird. Der Begriff des Schutzgesetzes ist regelmäßig uneindeutig und streitig. Eindeutig als Schutzgesetz eingeordnet werden allerdings Normen des Strafrechtes, weswegen wirtschaftliche Schäden durch Straftaten einen klassischen Anwendungsfall des § 823 Abs. 2 BGB darstellen.
Abhängig davon, welche konkrete Handlung in den Blick genommen wird, sind unterschiedliche Straftatbestände denkbar. Die §§ 263, 264a StGB sanktionieren den Betrug bzw. Kapitalmarktbetrug. Betrug setzt das Hervorrufen oder Fördern falscher Tatsachenvorstellungen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen voraus. Tätigt das Opfer in der Folge eine Vermögensverfügung, durch die es bei saldierter Betrachtung (ggf. unter Berücksichtigung subjektiven Wertgewinnes) einen Vermögensschaden erleidet, liegt ein Betrug vor. Im speziellen Fall des Kapitalmarktbetruges nach § 264a StGB geht es um die Vorspiegelung falscher markterheblicher Informationen, die das Opfer zum Kauf von Wertpapieren wie etwa Aktien des Unternehmens verleiten. Im Fall Wirecard bezog sich dieser Irrtum auf das Vermögen des Unternehmens. Der Vorstand hatte systematisch und vorsätzlich dafür gesorgt, dass das Anlagevermögen auf der Passiva-Seite der Bilanz um 1,9 Milliarden Euro zu hoch ausgewiesen wurden. Hierbei wurde unter anderem auf gefälschte Dokumente philippinischer Banken zurückgegriffen, unter der Behauptung, dass auf den Philippinen erfolgreich das operative Geschäft ausgebaut würde. Aufgrund dieses Irrtums stellten sich die Aktien der Wirecard AG auch dann noch als lukrative Geldanlage dar, als das Unternehmen de facto schon erhebliche Solvenzschwierigkeiten hatte. Der Betrugs- bzw. Kapitalmarktbetrugstatbestand stellt unstreitig ein Schutzgesetz zugunsten der Opfer des Betruges dar, weswegen mit der Tatbegehung auch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB begründet wäre.
Unrichtige Darstellungen der Vermögenswerte in der Bilanz des Jahresabschlusses ist zudem eine Straftat nach § 331 HGB. Die Strafbarkeit knüpft an die persönliche Verantwortlichkeit im Unternehmen an und kann Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder treffen. Ergänzend tritt daneben § 400 AktG, der den entsprechenden Gesellschaftsorganen für den Fall der unrichtigen Darstellung von Tatsachen im Bezug auf verbundene Unternehmen, also auch das Auslandsgeschäft Strafe androht. Die Gesetze sind also beide auf die Richtigkeit des Jahresabschlusses mit allen seinen Bestandteilen, insbesondere der Bilanz und des Lageberichtes, gerichtet. Der Jahresabschluss wiederum ist zur Veröffentlichung im Handelsregister und ggf. zur Veröffentlichung gegenüber dem Kapitalmarkt bestimmt. Sein Zweck ist es also, die wirtschaftlichen und Compliance-technischen Verhältnisse des Unternehmens transparent zu machen, unter anderem zum Schutz von Investoren. Auch die Straftaten im Zusammenhang mit der Bilanzfälschung dürften ohne weiteres als Schutzgesetz gegenüber Aktionären zu betrachten sein.
Das OLG ließ Erwägungen hinsichtlich der Strafbarkeit des Verhaltens außen vor, was an der Unerheblichkeit für das Vollstreckungsverfahren als solchem lag. Der Schadensersatzanspruch kann sich hilfsweise aus § 826 BGB ergeben. Dieser sieht eine Haftung für die Fälle vor, in denen der Schaden durch vorsätzliches sittenwidriges Verhalten herbeigeführt wird. § 826 BGB wird gemeinhin als Auffangtatbestand betrachtet, der zwar einen sehr weiten Anwendungsbereich, aber dafür strenge Voraussetzungen hat. Von § 823 Abs. 2 BGB unterscheidet er sich insbesondere dadurch, dass er zwingend den Vorsatz bei Begehung der schädlichen Handlung voraussetzt. Die Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 führt auch bei fahrlässiger Begehung zu einer Schadensersatzpflicht. Das OLG indes sah es aufgrund des Vorbringens der Klägerin als glaubhaft im Sinne von § 294 ZPO an, dass ein Schadensersatzanspruch jedenfalls nach § 826 BGB vorliegt.
Arrest zur Sicherung der Zwangsvollstreckung
Der Arrest nach § 916 ZPO setzt die Glaubhaftmachung eines Arrestanspruches und eines Arrestgrundes voraus und kann zur Sicherung eines überwiegend wahrscheinlich vorliegenden Anspruches angeordnet werden. Grundsätzlich muss hierfür noch kein vollstreckbarer Titel aus dem Hauptsacheverfahren vorliegen, wenn der Arrestkläger glaubhaft macht, dass die Durchsetzung eines Titels, den er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erringen wird (Arrestanspruch), ohne die Anordnung des Arrests verhindert oder unverhältnismäßig erschwert wird (Arrestgrund). Der Arrest kann sich, je nach Erfordernis, gegen Vermögensgegenstände (z.B. Einfrieren von Konten) oder die Person des Schuldners (physischer Arrest durch Hausarrest oder Inhaftierung) richten. Die Arrestierung der Person des Schuldners ist in der Regel ausgeschlossen, wenn dieser Sicherheit in voller Höhe des voraussichtlichen Anspruches leistet, da die Vollstreckung dann durch eine Flucht nicht erschwert würde. Das Gericht kann die Sicherheitsleistung nach § 923 ZPO auch abweichend festsetzen.
Im vorliegenden Fall berief sich die Arrestklägerin auf die Fluchtgefahr, die die Urteilsdurchsetzung erschweren könnte. Dies begründete sie damit, dass der Arrestbeklagte österreichischer Staatsbürger war und zudem in zahlreichen weiteren Ländern Immobilien besaß, was ein Untertauchen außerhalb der Reichweite deutscher Vollstreckungsorgane ermöglichen würde. Das LG München I hatte das Arrestgesuch mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Beklagte in Untersuchungshaft sitze und eine Fluchtgefahr somit nicht gegeben sei.
Das OLG vertrat an dieser Stelle eine andere Auffassung, die es folgendermaßen begründete:
1. Der Arrestanspruch ist bereits dadurch indiziert, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen den Arrestbeklagten wegen der von der Arrestklägerin vorgebrachten Wirtschaftsstraftaten laufen. Strafrechtliche Ermittlungen wegen des strafprozessualen hinreichenden Verdachts einer Straftat zulasten des Arrestklägers sind ein Grund dafür, die Erfolgsaussichten der Schadensersatzklage in der Hauptsache anzunehmen und somit den Arrestanspruch als glaubhaft gemacht zu betrachten. Diese Auffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung, das OLG verwies auf einen eigenen Beschluss vom 13.10.26 (Az. 15 W 1709/16).
2. Auch der Arrestgrund, also die konkrete Gefahr bei Nichtanordnung des Arrests, entfällt mit der Untersuchungshaft nicht. Die Untersuchungshaft betrifft nur die Person des Arrestbeklagten, nicht sein Vermögen. Für die Durchsetzbarkeit des Titels aus dem Hauptsacheverfahrens kommt es aber gerade auf die Verfügbarkeit des Vermögens an. Vermögensdispositionen durch den Arrestbeklagten müssen verhindert werden.
3. Das LG hätte also den Arrest des Vermögens, nicht der Person des Arrestbeklagten anordnen müssen. Die Arrestklägerin hatte sowohl den persönlichen als auch den Vermögensarrest beantragt. Diesen Antrag hätte das LG nach Auffassung des OLG nur teilweise zurückweisen dürfen, nämlich nur im Hinblick auf den Arrest der Person. Ein Arrestgrund bestand hinsichtlich der Einfrierung von Vermögenswerten.
4. Die Beschlagnahme nach § 111b StPO von Vermögenswerten hindert die Anordnung des Vermögensarrestes nicht, da die Normen unterschiedliche Zwecke verfolgen. Eine Zwangsvollstreckung in das arrestierte Vermögen muss nach Ende der Beschlagnahme im Rahmen des Strafverfahrens möglich sein. Es ist an dieser Stelle wichtig, das Zivil- und das Strafverfahren voneinander zu trennen, da sie unterschiedliche Zwecke verfolgen und Beschlagnahme und Arrestierung sachlich nicht dasselbe sind.
Somit ordnete das OLG an, dem Begehren der Arrestklägerin auf Pfändung der Konten des Arrestbeklagten in Höhe ihrer Ansprüche stattzugeben. Die Durchführung der Pfändung wurde an das LG zurückverwiesen.
Exkurs: Die Finanzmarktaufsicht in der Causa Wirecard
Neben dem Bereich der Bilanzfälschung und des Kapitalmarktbetruges seitens des Unternehmens förderte der Fall Wirecard auch kuriose Vorgänge und Mentalitäten in der deutschen Finanzmarktaufsicht zutage. Der Fall war nicht nur wegen eines großangelegten Betrugs am Kapitalmarkt zulasten zahlreicher Privatanleger bemerkenswert, sondern auch durch die Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die die Verantwortlichen in der Wirecard AG bis zuletzt zu decken versuchte und sich statt auf die Ausübung der Aufsicht auf die Verfolgung kritischer Finanzjournalisten, insbesondere der britischen Financial Times, fokussierte. Diese hatten schon früh Ungereimtheiten in den Jahresabschlüssen der Wirecard AG entdeckt und den Verdacht geäußert, dass Wirecard nicht über das behauptete Geschäftsvolumen und Anlagevermögen verfügte.
Die BaFin indes bezichtigte die betreffenden Journalisten der Falschinformation zulasten der Wirecard AG und versuchte, in Großbritannien ein Strafverfahren gegen sie einzuleiten und die weitere Berichterstattung zu unterbinden.
Sachkundigen Kapitalmarktanlegern wurden, auch infolge überragender wirtschaftsjournalistischer Leistungen, die Ungereimtheiten zunehmend klarer, weswegen einige wohlhabende Anleger dazu übergingen, Leerverkäufe in großem Umfang zu tätigen. Die BaFin wertete diese Leerverkäufe als Instrument zur Verunglimpfung von Wirecard und erließ ein Verbot von Leerverkäufen. Dieses stützte sich auf Art. 20 der EU-VO 216/2012 betreffend der Finanzmarktsaufsicht. Die Norm war in Reaktion auf eine Häufung von sogenannten Shortseller-Attacken entstanden.
Shortselling ist gleichbedeutend mit einem Leerverkauf, also einer Aktienleihe mit fixem Rückgabedatum, bei dem die Differenz zwischen Kurswert der Aktien bei Leihe und Sofortverkauf und dem Kurs zum Rückgabezeitpunkt als Rendite zurückbehalten werden kann. Ein Leerverkauf rentiert sich daher bei fallenden Kursen. Eröffnen Investoren mit einer gewissen Marktmacht eine Leerverkaufsposition und verunglimpfen daraufhin ein Unternehmen, um dessen Aktienkurs zu senken, ist häufig von einer Shortselling-Attacke die Rede. Die BaFin unterstellte, dass jeder Leerverkauf von Aktien der Wirecard AG Teil einer solchen Shortselling-Attacke sei, und verbot mit sofortiger Wirkung Leerverkäufe von Wirecard-Aktien.
Mit dem erzwungenen Ende aller Leerverkäufe wurde der Aktienkurs von Wirecard künstlich erhöht und Aktionäre dazu motiviert, mehr Geld in Wirecard-Aktien zu investieren. Dies dürfte erheblich zu den massiven Schäden bei Privatanlegern beigetragen haben.
youtube.com/VisualPolitikDE: Anschauliche Darstellung des Verhaltens der BaFin im Fall Wirecard.
Der Betrug wurde letztendlich von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG aufgedeckt und führte zur Insolvenz der Wirecard AG.
In der Fachpresse wird häufiger ein nationalistisches Motiv als Grund für das Verhalten der BaFin ausgemacht. Wirecard sollte als nationales Prestigeprojekt zu einem Konzern werden, der an wirtschaftlicher Kraft mit den großen amerikanischen Technologiekonzernen mithalten kann. Die Belange tausender Privatanleger und Arbeitnehmer, hunderter Partnerunternehmen und systemrelevanter Banken wurden dem verletzten Nationalstolz einiger Politiker und Behördenleiter untergeordnet und Wirecard ohne Rücksicht auf Verluste mit rechtlich fragwürdigen Methoden geschützt.
Es erscheint geradezu zynisch, dass der deutsche Gesetzgeber einerseits derart umfassende Regulationen erlässt, um Verbraucher, Arbeitnehmer und Privatanleger zu schützen, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen der Rechtslage nur unter Mühe und beträchtlichen Kosten allen Gesetzen entsprechen können, zugleich aber die vom Gesetzgeber eingesetzten Aufsichtsbehörden bereit sind, ihre Befugnisse für Zwecke des nationalen Prestiges zu missbrauchen. Die Zuverlässigkeit der staatlichen Finanzmarktaufsicht dürfte jedenfalls auf unbestimmte Zeit als auf dem Prüfstand befindlich betrachtet werden.
Schuldner der Haftung bei Bilanzfälschungen
Die Rechtsprechung, die auch das OLG in diesem Urteil aufgreift, ist eindeutig, wenn es um die Bezifferung des Schadens geht. Die haftungsausfüllende Kausalität besteht darin, dass durch die schädigende Handlung Investoren zu Vermögensdispositionen in Gestalt des Aktienkaufs getätigt werden. Der aufgewendete Kaufpreis stellt dabei den adäquat-kausal verursachten Schaden dar. Der Anspruch ist also auf Rückerstattung des Kaufpreises gerichtet. In aller Regel wird der Anspruch Zug um Zug (§ 348 BGB) gegen die Herausgabe der gekauften Aktien zu erfüllen sein.
Problematisch im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität kann allerdings die Ermittlung des richtigen Schuldners sein. Kapitalmarktbetrug und Bilanzfälschung stellen verhältnismäßig komplexe Wirtschaftsstraftaten dar. Die Prüfungsschritte, die Erstellung einer Bilanz und die Herausgabe der relevanten Informationen für den Kapitalmarkt sind mehrschrittige Vorgänge, in deren Rahmen die Verantwortlichkeiten klar abgegrenzt werden müssen.
Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat in den hier behandelten Fällen darf dabei nicht mit der Organhaftung nach §§ 93, 116, 117 AktG verwechselt werden. Diese Haftungstatbestände knüpfen an Verfehlungen in der Geschäftsleitung, bzw. im Falle des Aufsichtsrates in deren Überwachung (§ 111 AktG) an. Diese Ansprüche stehen allerdings nur dem Unternehmen als solchem zu, um den durch unsorgfältige Geschäftsführung entstandenen Schaden auszugleichen. Die Verwirklichung von Straftatbeständen bzw. vorsätzlichem sittenwidrigen Verhalten erfolgt im hier vorliegenden Fall unmittelbar gegenüber einzelnen Aktionären, nicht gegenüber der Gesellschaft als juristischer Person.
Prinzipiell kommt eine Haftung folgender Akteure in Betracht:
1. Vorstand: Der Vorstand ist nach § 91 Abs. 1 AktG hauptverantwortlich für die Buchführung, die die Grundlage für die Bilanz bildet. Bei Überschuldung oder drohender Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hat der Vorstand darüber hinaus unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und sie zu informieren. Der Vorstand ist also primär für die Information der Anleger verantwortlich und könnte bereits dann in die Haftung geraten, wenn keine Straftat, sondern nur eine Verletzung von Pflichten zugunsten einzelner Aktionäre im Raum steht. Bei der Begehung von Straftaten nach §§ 263, 264d StGB oder § 331 HGB, § 400 AktG ist der Vorstand unstreitig hauptveranrwortlich. Die Haftung des Vorstandes ist auch im Außenverhältnis (also abseits der Innenhaftung nach § 93 AktG) tendentiell erster Adressat, gegen den ein potentieller Anspruch zu prüfen wäre.
2. Aufsichtsrat: Beim Aufsichtsrat kommt es insbesondere darauf an, ob dieser seine Aufsichtspflicht wahrgenommen hat. Es ist also zu fragen, ob einem sorgfältigen Aufsichtsrat, insbesondere dessen Finanzexperten (§ 100 Abs. 5 AktG) und dem Prüfungsausschuss die Vorgänge hätten auffallen müssen. Der Aufsichtsrat in kapitalmarktorientierten Unternehmen nach § 264d HGB i.V.m. § 2 Abs. 1 WpHG ist sowohl für die Überwachung des Vorstandes als auch der Arbeit des Abschlussprüfers zuständig. Dabei ist allerdings folgendes zu beachten: der Aufsichtsrat kann zwar verschiedene Informationskanäle nutzen, seine primäre Informationsquelle sind allerdings die Vorstandsberichte nach § 90 AktG, die er eingehend zu prüfen hat. Täuscht der Vorstand den Aufsichtsrat, wird letzterem in der Regel nur schwerlich ein Vorwurf zu machen sein, es sei denn, die Täuschung wäre bei sorgfältiger Prüfung erkennbar gewesen. Kooperieren allerdings Aufsichtsratsmitglieder mit einem betrügerischen Vorstand, dürften sie unproblematisch auch als Schuldner des Schadensersatzanspruches gesehen werden.
3. Abschlussprüfer: Die Pflichten des Abschlussprüfers sind in § 323 HGB aufgeführt. Zentral ist der Begriff der gewissenhaften und unparteiischen Prüfung des Jahresabschlusses. Der Abschlussprüfer hat die Funktion des Jahresabschlusses – die Transparenz in allen aufgeführten Punkten – im Blick zu behalten und jeglichen Ungereimtheiten, die ihm auffallen oder bei Einbeziehung seiner Sachkunde hätten auffallen müssen, nachzugehen.
4. Aufsichtsbehörde: Die BaFin könnte nach den Grundsätzen der Amthaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB auf Ersatz des Schadens haften, der Privatanlegern durch Verfehlungen im Rahmen der Ausübung ihrer Aufsichtsbefugnis entsteht. Insbesondere in einem Fall wie Wirecard, in dem die BaFin den Betrug sogar gefördert hat (durch das Verbot von Leerverkäufen), stellt sich die Frage nach Amtshaftungsansprüchen. Problematisch ist allerdings: ein Anspruch auf Einhaltung dieser Amtspflicht besteht nur, wenn der einzelne Aktionär durch diese konkret geschützt werden soll. Angeführt wird an dieser Stelle häufig § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Finanzdienstleistungsaufsicht (FinDAG). Hiernach nimmt die BaFin ihre Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr, im Umkehrschluss also nicht im Interesse der einzelnen Privatanleger. Beschränkungen der Staatshaftung im Bereich Anlegerschutz verstoßen prinzipiell gegen EU-Recht, wie etwa auch aus einem Urteil des EuGH vom 10.12.2020 (Az. C-735/19) hervorgeht. Dennoch sind solche Regeln in einigen Mitgliedsstaaten in kraft und werden angewendet. So auch § 4 Abs. 4 FinDAG. Schadensersatzklagen gegen die BaFin dürften also selbst bei schweren Verfehlungen zugunsten von Privatanlegern weitgehend aussichtslos sein.
5. Mitarbeiter, insbesondere in IKS und RMS: Mitarbeiter des Unternehmens, die nicht zur Geschäftsleitung gehören, können ebenfalls Einfluss auf die Bilanz und den Jahresabschluss nehmen, der letztendlich die für den Kapitalmarkt relevanten Informationen vermittelt. In diesem Zusammenhang geht es schwerpunktmäßig um solche Mitarbeiter, die Teil des internen Kontrollsystems (IKS) und des Risikomanagementsystems (RMS) sind. Deren Haftung kommt allerdings nur in Sonderfällen in Betracht, denn die Verantwortlichkeit für IKS und RMS liegt bei Vorstand (Konzeption und Errichtung) und Aufsichtsrat (Überwachung und Evaluierung). Nur wenn Mitarbeiter dieser Systeme eigenmächtig handeln und dabei ihre verantwortlichen Vorgesetzten täuschen ist es aussichtsreich, diese persönlich in Anspruch zu nehmen. Gerade bei der Haftung wegen durch Straftaten verursachten Schäden ist zudem in den Blick zu nehmen, welche Straftatbestände zwingend an eine unternehmensleitende Position anknüpfen und welche auch das Verhalten anderer Mitarbeiter sanktionieren können. Die Strafvorschriften des HGB und des AktG betreffen in aller Regel nur Leistungsorgane unmittelbar, während Kapitalmarktbetrug nach dem StGB an keine gesellschaftsrechtliche Funktion anknüpft.
Fazit
Das Vorliegen einer Wirtschaftsstraftat und eines daraus resultierenden Schadens indiziert in der Regel das Vorliegen eines Arrestanspruches nach § 916 ZPO zur Sicherung des Schadensersatzanspruches. Bei der Beurteilung, ob ein Arrestanspruch vorliegt, darf allerdings nicht auf die Maßnahmen nach der StPO, die im Strafverfahren zur Anwendung kommen, verwiesen werden. Beschlagnahme und Untersuchungshaft nach der StPO sind wegen unterschiedlicher Normzwecke nicht gleichzusetzen mit der Arrestierung von Vermögen oder Personen. Abseits der materiellen Indizwirkung der strafrechtlichen Ermittlungen für den Arrestanspruch sind Zivil- und Strafverfahren hier strikt auseinanderzuhalten.