Der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dient dazu, eine Mehrfachbelastung mit der Umsatzsteuer innerhalb einer Lieferkette zu verhindern. Die Grundidee ist, dass jeder Steuerschuldner in der Lieferkette nur die Umsatzsteuer trägt, die auf den selbst geschaffenen Mehrwert entfällt. Daher hat sich auch das Synonym Mehrwertsteuer für die Umsatzsteuer bei Verbrauchergeschäften eingebürgert. Im Spezialfall der Einfuhrumsatzsteuer können jedoch Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug auftreten, insbesondere dann, wenn der Einfuhrtatbestand unter Zuhilfenahme Dritter verwirklicht wird. Das Finanzgericht Hamburg hat sich in einem Urteil vom 18.12.2020 (Az. 5 K 175/18) mit einem solchen Fall auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Klägerin war ein Dienstleistungsunternehmen, das im eigenen Namen Zollanmeldungen für die Einfuhr von Waren nach Europa abgab. Beklagte war das für das Unternehmen der Klägerin zuständige Finanzamt.
Die Klägerin hatte am 7. Februar 2018 für Rechnung eines türkischen Unternehmens A die Zollanmeldung von Datenträgern zur Lieferung an die in Deutschland ansässige E-GmbH vorgenommen. Der umsatzsteuerbare Wert der Lieferung wurde (unstreitig) mit 1.199 € beziffert.
Die betreffende Lieferung war von der von A beauftragten Spedition in Österreich hinterlegt worden. Allerdings war dort keine Einfuhr, sondern nur eine Durchfuhr erfolgt. Zum Zeitpunkt der Zollanmeldung wusste die Klägerin nicht exakt, wo sich die Ware befand, und hatte auch keine Möglichkeit, unmittelbar auf sie zuzugreifen. Ihre Tätigkeit beschränkte sich mithin auf die zollrechtlichen Formalia.
Ebenfalls am 7. Februar 2018 erließ das zuständige Zollamt einen Einfuhrumsatzsteuerbescheid in Höhe von 227,81 €, den die Klägerin beglich.
Am 9. Mai reichte die Klägerin ihre Umsatzsteuervoranmeldung ein, in der sie den Vorsteuerabzug der gezahlten Einfuhrumsatzsteuer geltend machte. Entgegen ihrer Auffassung berücksichtigte das Finanzamt den Vorsteuerabzug nicht bei der Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung im August 2018.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht Hamburg. Sie machte geltend, das Finanzamt habe den Vorsteuerabzug zu berücksichtigen und die Umsatzsteuervorauszahlung niedriger anzusetzen.
Begriff des indirekten Vertreters
Die Klägerin wurde bei der Zollanmeldung nicht für eigene Rechnung, sondern für Rechnung ihres Auftraggebers tätig. Es stellte sich daher die Frage, wie sich ihre Funktion als Stellvertreterin auf ihre umsatzsteuerrechtlichen Rechte und Pflichten auswirkte.
Der zivilrechtliche Grundfall der Stellvertretung ist ein Handeln des Vertreters im Namen des Vertretenen mit einer entsprechenden Vertretungsmacht. In diesem Fall ist die Lage wesentlich einfacher: Jegliche rechtserhebliche Handlung im Rahmen der gewährten Vertretungsmacht wirkt unmittelbar (und ausschließlich) für und gegen den Vertretenen.
Ein indirekter Vertreter ist eine Person, die im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung tätig wird. Im deutschen Recht ist diese Figur vorwiegend im Zusammenhang mit Kommissionsgeschäften bekannt; der Kommissionär tritt bei Vornahme eines Rechtsgeschäftes im eigenen Namen auf, die schuldrechtlichen Verbindlichkeiten entstehen allerdings zwischen dem Geschäftspartner und dem Kommittenten. Art. 18 Abs. 1 der EU-VO 952/2013, des Zollkodex der Europäischen Union, legt ausdrücklich fest, dass für die Wahrnehmung der zollrechtlichen Pflichten die Benennung eines indirekten Vertreters zulässig ist.
Die indirekte Vertretung in einem öffentlich-rechtlichen (zollrechtlichen) Kontext wirft allerdings einige spezielle Fragestellungen auf, da sich öffentlich-rechtliche Pflichten anders verhalten als zivilrechtliche. Insbesondere sind zusammenhängende Rechte und Pflichten aus öffentlich-rechtlichen Normen in aller Regel klar aneinander gekoppelt, während viele zivilrechtliche Rechte und Pflichten mittels einvernehmlicher Vereinbarung ohne weiteres separiert und übertragen werden können. Der Fall der indirekten Vertretung bei Kommissionsgeschäften illustriert dies: Der Kommissionär nimmt die Rechtsgeschäfte vor, die zu einem Vertragsschluss führen, die wirtschaftlichen Folgen treffen aber unmittelbar den Kommittenten; Tatbestand (Rechtsgeschäft) und Rechtsfolge (Schuldverhältnis) werden kraft einer Vereinbarung entkoppelt. Dies hängt damit zusammen, dass die Parteien ihre eigenen Angelegenheiten ohne involvierte Drittinteressen regeln, der Zweck des Geschäfts liegt in ihrer rein privaten Sphäre. Es ist insofern keine starre Kopplung zur Wahrung legitimer Interessen erforderlich. In der öffentlichen Materie des Steuerrechtes sind hingegen andere Spezifika zu beachten.
Vorsteuerabzug und Einfuhrumsatzsteuer
Die Umsatzsteuer erfüllt einen öffentlich-rechtlichen Zweck, der nicht zur Disposition der Parteien steht. Hinterfragen lässt sich allerdings, ob dies auch für den Vorsteuerabzug gilt. Dieses Recht soll in erster Linie die Belastung der Unternehmen innerhalb der Lieferkette mindern, die sonst exorbitante, da über die Lieferkette kumulierte, Umsatzsteuern abführen müssten.
Die Einfuhrumsatzsteuer nach § 21 UStG knüpft nicht an eine Transaktion, sondern an den zollrechtlichen Tatbestand der Einfuhr an. Einfuhr bezeichnet das Verbringen einer Sache in das Zollgebiet der Europäischen Union nach Art. 4 des Zollkodex. Zum Zollgebiet der EU zählt unter anderem das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der Freihäfen in Bremerhaven und Cuxhaven sowie der Sondergebiete Helgoland und Büsingen am Hochrhein. Maßgeblich für das Zollverfahren ist genau dieser Einfuhrtatbestand, der mit dem Verbringen der Lieferung ins Zollgebiet der EU erfüllt ist.
Beachtlich ist im Zusammenhang mit Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zunächst § 3 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO). Demnach sind Zölle nach Art. 5 des Zollkodex als Steuern im Sinne der Abgabenordnung zu behandeln. Zollrecht und Steuerrecht sind voneinander zu trennen, da das Zollrecht ausschließliche Kompetenz der EU und somit separat vom nationalen Steuerrecht zu betrachten ist. Zudem dienen Zoll und Steuern prinzipiell auch unterschiedlichen Zwecken; die Umsatzsteuer ist eine fiskalzweckgerichtete Norm, der Zollkodex dient nach Art. 3 des Zollkodex der Verwirklichung der EU-Verträge sowie dem Binnenmarktsprotektionismus. Funktional ähneln sich Zoll und Einfuhrumsatzsteuer allerdings sowohl was die Tatbestände, als auch was den Inhalt der auferlegten Pflichten anbelangt. Aus Sicht von Unternehmern oder Verbrauchern, die die Einfuhr veranlasst haben und durch Steuer- oder Zollrecht verpflichtet werden, ist der Unterschied sekundär, weswegen eine Gleichbehandlung von Zoll und Einfuhrsteuern durchaus sachgerecht erscheint.
Zudem ist das Umsatzsteuerrecht durch die europäische Richtlinie 2006/112/EG weitgehend harmonisiert. Das Recht der Einfuhrumsatzsteuern ist auf europäischer Ebene konzipiert und dementsprechend mit dem Zollkodex abgestimmt.
Daher ist die Abgabe der Zollanmeldung nach dem Zollkodex auch für den Tatbestand des § 21 UStG maßgeblich. Da § 21 UStG auf den Zollkodex verweist, ist die verantwortliche Person, ebenso wie der steuerpflichtbegründende Tatbestand der Einfuhr, nach den Regeln des Zollverfahrens zu bestimmen.
Der indirekte Zollvertreter ist also grundsätzlich zur Abführung der Einfuhrumsatzsteuer verpflichtet. Die Steuerpflicht trifft ihn als denjenigen, der die Einfuhr verwirklicht. Da es gerade nicht auf eine Transaktion ankommt, sind auch deren Parteien im Zollverfahren außen vor. Hierbei geht das Zollrecht allerdings im Grundfall davon aus, dass der zollrechtliche Vertreter bei Einfuhr die Verfügungsmacht über die Einfuhrware innehat.
Der BFH hatte in dieser Frage bereits am 11.11.2015 (Az. V R 68/14) geurteilt: Grundsätzlich haften alle Veranlasser der Einfuhr, also Zollvertreter, Auftraggeber und Empfänger der Einfuhrware, gesamtschuldnerisch auf Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer. Das Auseinanderfallen von Steuerschuld und Vorsteuerabzugsberechtigung ist im nationalen Umsatzsteuerrecht zwar nicht vorgesehen; für die Einfuhrumsatzsteuer im Speziellen gelten allerdings nach § 21 Abs. 2 UStG ausdrücklich die Vorschriften über den Zoll, der eine gesamtschuldnerische Haftung ohne Rücksicht auf die steuerrechtliche Situation vorsieht.
Die Klägerin kann die Erstattung der Vorsteuer also allenfalls von derjenigen Partei verlangen, die tatsächlich zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Dies stellt allerdings einen Ausgleich im Innenverhältnis zwischen den Parteien dar und tangiert weder Steuer- noch Zollpflicht. Es gelten insoweit die Grundsätze der Gesamtschuld nach § 421 BGB: im Außenverhältnis, gegenüber dem Finanz- und dem Zollamt, ist es völlig unerheblich, wer den Steuerbescheid begleicht. Der Ausgleich findet ausschließlich im Innenverhältnis statt, hier also zwischen A, E-GmbH und der Klägerin. Auf den Steuerbescheid der Klägerin kann die Situation sich indes nicht auswirken, da das Recht zum Vorsteuerabzug auf steuerrechtlicher Ebene nicht besteht.
Folgt man der Rechtsprechung des BFH, ist festzustellen, dass diese Rechtslage ein hohes Risiko für Zollspeditionen bedeutet. Letztendlich können sie sich, wenn sie die Einfuhrumsatzsteuerschuld begleichen, nur an die vorsteuerabzugsberechtigte Partei halten. Die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer ist wirksam, da sie als Gesamtschuldner mitverpflichtet sind, das Recht zum Vorsteuerabzug steht ihnen jedoch bei fehlender Verfügungsmacht nicht zu.
Entscheidung und Gründe
Das FG hatte die Klage als zulässig, aber unbegründet abgewiesen. Es bestätigte insoweit die Rechtmäßigkeit des Steuerfestsetzungsbescheides und stellte fest, dass der Klägerin kein Recht zum Vorsteuerabzug zustand.
Zur Begründung der Entscheidung wurde auf die oben zitierte Rechtsprechung des BFH zu Art. 168 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG (MwStSysRL) verwiesen. Dieser legt Kriterien für das Recht zum Vorsteuerabzug der Einfuhrumsatzsteuer fest.
Die Klägerin hatte sich darauf gestützt, dass sie die Einfuhrumsatzsteuer gezahlt und der A nicht in Rechnung gestellt habe. Nach dem Zweck des Vorsteuerabzugs – nämlich denjenigen zu entlasten, der bereits Umsatzsteuer gezahlt hat, müsse dieses Recht ihr also zustehen. Insbesondere fasste sie das Urteil des EuGH vom 08.10.2020 in der Sache C-621/19 dahingehend auf, dass für die Vorsteuerabzugsberechtigung nicht zwingend Verfügungsmacht bestehen müsse, sondern auch die Übernahme der Kosten des Zollverfahrens sowie dessen Abwicklung als Verantwortliche genügen. Da sie der A die Kosten des Verfahrens sowie die Einfuhrumsatzsteuer nicht in Rechnung gestellt, sondern lediglich die Vergütung für ihre Dienstleistung berechnet habe, ergebe sich ihr Recht zum Vorsteuerabzug.
Sie berief sich zudem darauf, dass die Waren bereits in Österreich in den zollfreien innereuropäischen Warenverkehr gelangt seien und somit keine Einfuhrumsatzsteuer nach deutschem UStG hätte festgesetzt werden dürfen. Diese Auffassung deckt sich allerdings nicht mit der EuGH-Rechtsprechung vom 25.06.2015 (Az. C-187/14), in der der EuGH klarstellte, dass auch bei einem erfolglosen Lieferversuch an den Bestimmungsort noch keine Steuerschuld an dem Ort entsteht, an dem die Einfuhrware in einen Freihafen zurücktransportiert wird. So hatte es sich mit der Situation in Österreich verhalten; dementsprechend war in Österreich kein zollrechtlicher Eintritt der Ware in den zollfreien Unionswarenverkehr erfolgt.
Das FG interpretierte indes das Urteil EuGH C-621/19 dahingehend, dass eine Abweichung vom Prinzip der unmittelbaren Verfügungsmacht nur dann denkbar sei, wenn der Wert des Einfuhrumsatzes in den Preis der Speditionsleistung mit einfließt. Das bedeutet: die Beteiligung des Zollspediteurs (hier der Klägerin) an der Lieferkette ist bei fehlender Verfügungsmacht über die Ware nur dann hinreichend konkretisiert, wenn der umsatzsteuerrechtliche Verkehrswert, und mithin die Einfuhrumsatzsteuer, in die Rechnung der Spedition Eingang finden.
Dies hat folgenden Grund: zum Vorsteuerabzug ist nach Art. 168 lit. e MwStSysRL nach ständiger europäischer Rechtsprechung nur berechtigt, wer die Einfuhr von Waren für sein Unternehmen veranlasst. Dies setzt entweder die physische Sachherrschaft über die Waren voraus oder einen hinreichend konkreten Zusammenhang der Lieferung mit eigenen Eingangs- und Ausgangsumsätzen. Wenn der Wert der Speditionsleistung unspezifisch, ohne Einbezug des Verkehrswertes der konkreten Lieferung erfolgt, ist dieser Zusammenhang nicht gegeben. Die Dienstleistung der Zollspedition steht dann in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der konkreten Lieferung.
Es obliegt demnach der Klägerin, die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer von A oder der E-GmbH, die nach zollrechtlichen Grundsätzen als Gesamtschuldner auf Erfüllung dieser Steuerschuld haften, zurückzufordern. Ein eigenes Recht zum Vorsteuerabzug steht ihr allerdings nicht zu.
Fazit
Das Recht auf Vorsteuerabzug ist durch Art. 168 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie europaweit harmonisiert. Der Vorsteuerabzug funktioniert also im gesamten innereuropäischen Warenverkehr im Wesentlichen gleich.
In den Fällen des Vorsteuerabzuges für gezahlte Einfuhrumsatzsteuer ist grundsätzlich auf die Verfügungsmacht über die Einfuhrware abzustellen. Dies hängt damit zusammen, dass die (physische) Einfuhr der Tatbestand ist, der die Steuerpflicht auslöst; zugleich soll das Recht zum Vorsteuerabzug mit der Umsatzsteuerpflicht gekoppelt bleiben. Verfügungsmacht über die Ware bei Einfuhr ist daher ein wesentliches Kriterium für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Ein eventueller Ausgleich durch die vorsteuerabzugsberechtigte Partei erfolgt ausschließlich im privatrechtlichen Innenverhältnis und hat weder steuer- noch zollrechtlich Relevanz.
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