OLG Frankfurt a.M.: Mitbestimmung im Konzernaufsichtsrat

Das Mitbestimmungsgesetz und das Drittelbeteiligungsgesetz regeln in Unternehmen deutscher Rechtsform die Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat. Bei einer in Deutschland ansässigen Societas Europeae finden sich entsprechende Regelungen im SE-Beteiligungsgesetz (§§ 34 ff, 47 SEBG).

Hierbei ist die Rechtslage insofern eindeutig, als dass die Gesetze klare Schwellwerte vorsehen. Ab einer bestimmten Anzahl Arbeitnehmer ist den Arbeitnehmervertretern eine bestimmte Beteiligungsquote im Aufsichtsrat einzuräumen.

Problemstellung

Problematisch kann dies allerdings werden, wenn die Anzahl der Arbeitnehmer streitig ist, was in einem Konzern dann vorkommen kann, wenn die Beherrschungsverhältnisse nicht eindeutig sind.

Dies hängt mit der Berechnung der Arbeitnehmerzahl im Konzern zusammen. Die Arbeitnehmer einer beherrschten Gesellschaft sind der herrschenden zuzurechnen. Eine Gesellschaft gilt nach § 17 Abs. 1 AktG dann als beherrscht, wenn eine andere weit überwiegenden Einfluss auf sie ausübt. § 17 Abs. 2 AktG stellt hier die Regel auf, dass die Beherrschung widerleglich vermutet wird, wenn eine Gesellschaft an einer anderen die Mehrheitsbeteiligung hält.

Dies erscheint auch intuitiv. Wenn die X-AG 60 % der Anteile an der Y-GmbH hält, kann die X-AG in der Gesellschafterversammlung der Y-GmbH ohne weiteres einschneidende Beschlüsse fassen. Somit wirkt sich die Tätigkeit des Vorstandes, der letztendlich den Willen der X-AG formuliert (§ 76 Abs. 1 AktG: Geschäftsleitung in eigener Verantwortung), unmittelbar auf die Arbeitnehmer der Y-GmbH aus. Der Aufsichtsrat der X-AG ist somit auch für die Kontrolle der Entscheidungen betreffend der Y-GmbH zuständig.

Allerdings ist es auch etwa denkbar, dass de facto ein anderes Unternehmen als das mehrheitlich beteiligte die (rechtliche) Herrschaft ausübt, wie der Umkehrschluss aus § 17 Abs. 2 AktG zeigt. Das OLG Frankfurt a.M. hat sich in einem Beschluss vom 23.02.2021 (Az. 21 W 134/20) mit einem Streit über die konzernrechtliche Zurechnung von Arbeitnehmern auseinandergesetzt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Zusammensetzung des Aufsichtsrates nach der Umwandlung der Antragsgegnerin von einer AG in eine SE. Der Antragsteller war Aktionär der Antragsgegnerin und leitete ein Statusverfahren nach § 98 AktG ein, um die Zusammensetzung des Aufsichtsrates vom LG Frankfurt a.M. Überprüfen zu lassen. Gegen den ergehenden Beschluss erhoben beide Beteiligten Beschwerde nach § 99 Abs. 3 Satz 2 AktG. Das LG legte die Sache daraufhin dem OLG zur Entscheidung vor.

Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin hatte am 31.07.2017 die Umwandlung der Gesellschaft in eine SE beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte die AG 205 Arbeitnehmer, womit sowohl der Schwellwert für die Anwendung des MitbestG (2000 Arbeitnehmer) als auch des DrittelBG (500 Arbeitnehmer) unterschritten waren.

Streitig war, ob der AG nach § 5 MitbestG weitere Arbeitnehmer zuzurechnen seien. Die Zurechnung nach § 5 MitbestG setzt voraus, dass die betreffende Gesellschaft die herrschende Gesellschaft in einem Konzern ist. Der Konzernbegriff richtet sich hierbei nach § 18 AktG; ein Konzern kann sich sowohl aus einem Beherrschungsvertrag als auch aus einer gesellschaftsrechtlichen Beherrschung nach § 17 AktG ergeben.

Die AG hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt lediglich mit zwei Gesellschaften Beherrschungsverträge geschlossen, die insgesamt unter 50 Arbeitnehmer beschäftigten. Somit ändert auch die Zurechnung dieser Mitarbeiter nichts an der fehlenden Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorschriften.

In den Fokus gerückt wurden zudem eine Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin, die wiederum 49 % der Anteile an einer GmbH mit 1300 Arbeitnehmern hielt. Hier sah das Gericht keine Indizien für eine Beherrschung, zudem war der Vermutungstatbestand des § 17 Abs. 2 AktG aufgrund der Minderheitsbeteiligung nicht erfüllt.

Das LG hatte hier klargestellt, dass die Vermutung für die Beherrschung des Mehrheitsgesellschafters (hier eines anderen Unternehmens mit einer Beteiligung von 51 %) so lange greift, bis sie widerlegt ist, was hier bedeutet, dass der Antragsteller hätte beweisen müssen, dass nicht das andere Unternehmen, sondern die Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin das herrschende Unternehmen bildet.

Auch der Erwerb der Anteile einer weiteren GmbH mit 2000 Arbeitnehmern änderte deswegen nichts, weil er nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt war. In solchen Fällen gilt § 9 MitbestG, nach dem auch zu erwartende Entwicklungen im Personalbestand im maßgeblichen Zeitpunkt (dem der Umwandlung) zu berücksichtigen sind. Dem Beschluss ist allerdings zu entnehmen, dass eine Entwicklung erst dann als „zu erwartend“ zu betrachten ist, wenn rechtsverbindliche Gesellschafterbeschlüsse in der Angelegenheit (etwa der Konzernierung durch Anteilsübernahme oder Vertragsschluss) vorliegen, was im Falle des Erwerbs der betreffenden GmbH zum Zeitpunkt der Umwandlung nicht der Fall war.

Das nach der Umwandlung anwendbare SEBG änderte jedenfalls deswegen nichts, weil a) für die erstmalige Bildung des Aufsichtsrates, wie im letzten Beitrag zu OLG München Wx 278/18 erläutert, die oben erörterte Rechtslage zum Zeitpunkt des Umwandlungsbeschlusses maßgeblich ist,

b) und später, in einem dafür eingerichteten Gremium nach § 16 SEBG innerhalb der SE einstimmig beschlossen wurde, über die Mitbestimmung nicht mehr separat zu verhandeln. Gegen diesen Beschluss wäre allenfalls eine Anfechtung vor den Arbeitsgerichten (§ 2a ArbGG) statthaft.

Fazit

An dem Beschluss lässt sich der Stellenwert der Vermutungsregel aus § 17 Abs. 2 AktG ablesen: Wer die Beherrschung einer Gesellschaft durch die Minderheitsgesellschafterin behauptet, muss zunächst die Beherrschung durch die Mehrheitsgesellschafterin aktiv widerlegen. Dieser Beweis wird regelmäßig einen der Schwerpunkte in jedem Vorbringen gegen einen Konzernaufsichtsrat darstellen müssen, sofern es auf die Zurechung der Arbeitnehmer nach § 5 MitbestG ankommt.

Dieser Beitrag ist urprünglich erschienen auf dem Blog der Director’s Academy.

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