LG München I: Versicherungsleistungen wegen Corona-bedingter Betriebsschließung (1/2)

Das LG München I hat in den vergangenen Wochen zwei Streitfälle zwischen Unternehmern und Versicherern entschieden. In beiden Fällen haben jeweils Unternehmer ihre Betriebsschließungsversicherung auf Zahlung aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen. Die Entscheidungen enthalten einige interessante Grundsätze zur Auslegung von Betriebsschließungsversicherungsverträgen.

LG München I 12 O 7208/20

Im ersten Urteil vom 17.09.2020 nahm die Betreiberin einer privaten Kindertagesstätte ihre Versicherung auf Zahlung von 150.000 € in Anspruch. Dieses setzten sich, wie im Versicherungsvertrag als Höchstleistung vereinbart worden war, aus 30 Tagesentschädigungen zu je 5.000 € zusammen. Der Versicherungsvertrag der Klägerin stammte vom Oktober 2018. Die Versicherung sollte dann einspringen, wenn der Betrieb der Versicherungsnehmerin von der zuständigen Behörde wegen einer vom Infektionsschutzgesetz (IfSG) erfassten Krankheit geschlossen würde. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherung übernahmen dabei die Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten aus dem IfSG. Das Corona-Virus war nicht ausdrücklich mit aufgezählt.

Das bayrische Ministerium für Gesundheit und Pflege erließ am 13.03.2020 eine Verfügung (Az.: 51-K800-2020/122-65), in deren Folge unter anderem die Klägerin den regulären Betrieb einstellen musste. Die Möglichkeit von Notbetreuungen blieb ihr unter Auflagen erhalten. Die Klägerin forderte die Versicherung zur Zahlung in voller Höhe der vereinbarten Leistung auf.

Die Versicherung hielt dem entgegen, dass die Verfügung des Ministeriums keinen Versicherungsfall auslöse, unter anderem da Schließungen wegen des Corona-Virus nicht von der Versicherung erfasst seien. Zudem stelle die Reduzierung auf den Notbetrieb nur eine Teilschließung dar, die für sich genommen so oder so keinen Versicherungsfall auslöse. Darüber hinaus hielt die Versicherung die Verfügung des Ministeriums für unwirksam.

Die Klägerin führte gegen die Behauptung, Corona sei nicht vom Versicherungsvertrag erfasst, an, dass die Abzählung der Krankheiten nicht abschließend sei. Dies ergebe sich daraus, dass sich die Versicherungsbedingungen bei Vertragsschluss im Jahr 2018 auf dem Stand von 2013 befanden, obgleich schon eine neuere Fassung des IfSG von 2016 vorgelegen habe. Daraus, dass die Versicherungsbedingungen trotz Bezugnahme auf das IfSG nicht mit dessen Änderung überarbeitet worden seien, könne sich nur der Eindruck ergeben, dass die Aufzählung der Krankheiten exemplarisch und nicht abschließend sei.

Das LG führte aus, dass die Verfügung des Ministeriums wirksam sei. Das Gesundheitsministerium ist dem Urteil nach zuständig. Auf die Rechtmäßigkeit der Verfügung im Übrigen kommt es nicht an, da eine rechtswidrige Verfügung dennoch wirksam ist. Sie kann von Betroffenen vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden, dies hindert allerdings nicht das Eintreten eines Versicherungsfalles, da dieser Rechtsstreit sich oft lange hinziehen würde und daher die Versicherung ihren Zweck verfehle, den Betrieb in einer Notsituation zu stützen. Nur bei besonders schwerwiegenden offensichtlichen Mängeln der Allgemeinverfügung ist diese unmittelbar unwirksam, dies liegt hier allerdings nicht vor.

Dennoch ist die Klage der Auffassung des Gerichtes nach unbegründet und wurde dementsprechend abgewiesen. Die Klägerin habe ihren Betrieb auch unter den Notfallauflagen noch mit einem Drittel des üblichen Betriebsumfanges fortgeführt. Dies ist der wirklich interessante Teil des Urteils mit grundsätzlicher Bedeutung: das Gericht vertrat die Auffassung, dass von einer Schließung zu sprechen sei, wenn der Betrieb auf wenige Einzelfälle heruntergefahren würde. Aber auch bei einer so starken Einschränkung wie der Einstellung des Betriebes zu zwei Dritteln ist nicht von einer Schließung zu sprechen. Bei der Auslegung der allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es auf die Sicht eines sorgfältigen Durchschnittsversicherungsnehmers an. Dieser würde dem Gericht nach eine Reduktion des Betriebsumfangs um zwei Drittel nicht als Schließung auffassen.

Es kommt somit nicht darauf an, ob Schließungen wegen Corona von den allgemeinen Versicherungsbedingungen erfasst sind. Es liegt bereits keine Schließung vor. Diese Frage wurde allerdings im nun folgenden Fall entschieden.

LG München I 12 O 5859/20

Im zweiten Urteil vom 01.10.2020 lag ein ähnliches Problem vor. Ein Gaststättenbetreiber nahm seine Versicherung wegen einer Betriebsschließung aufgrund von Corona in Anspruch. In seinem Fall lag eine Betriebsschließung durch Verfügung des zuständigen Ministeriums vor. Die Versicherung wurde zum 01.03.2020 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war das Coronavirus bereits bekannt, insbesondere waren die diesbezüglichen Meldepflichten in Bayern bereits mit einer Verfügung vom 01.02.2020 verschärft worden.

Die allgemeinen Versicherungsbedingungen nahmen auf §§ 6, 7 IfSG Bezug, in denen das Coronavirus zu diesem Zeitpunkt nicht aufgeführt war. Die Versicherung machte daher geltend, die Betriebsschließung sei kein vertraglich vereinbarter Versicherungsfall.

Dies sah das Gericht hier jedoch anders. Insbesondere fiel ins Gewicht, dass der Vertrag während der Pandemie abgeschlossen worden sei. Zudem ergebe sich aus den Ausführungen der Parteien, dass der Versicherungsnehmer sich auch offensichtlich gerade auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie zum Vertragsschluss entschieden habe. Angesichts dieses Umstandes und seiner Erkennbarkeit für den Versicherer, kann sich dieser nicht auf den Wortlaut des IfSG berufen. Aus Sicht eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers würde das zu untragbaren Ergebnissen führen. Daher ging das LG in diesem Fall davon aus, dass ein Versicherungsfall eingetreten sei, die Versicherung mithin zahlen muss.

Fazit

Bei der Beurteilung, ob eine durch die Covid-19-Pandemie bedingte Betriebsschließung auch im Sinne üblicher allgemeiner Versicherungsbedingungen als solche zu betrachten ist, kommt es zunächst auf die Frage an, ob tatsächlich eine Schließung oder nur eine Reduktion des Betriebes vorliegt. Dabei kommt es auf eine objektive, neutrale Gesamtbetrachtung der Situation an. Erst dann ist zu fragen, ob Corona ein vom Vertrag erfasster Schließungsgrund ist. Dies kann sich nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus den Umständen ergeben, wenn etwa eine Versicherung gerade vor dem Hintergrund der Pandemie abgeschlossen wird.

Hier geht es zum zweiten Teil betreffend Betriebsschließungen wegen des Coronavirus.

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