LG München I: Gewerberaummietverträge und Lockdown

In Mietverträgen über Gewerberäume ist häufig eine Zweckbestimmung enthalten. Diese bezieht den Gewerbebetrieb als Gegenstand in den Mietvertrag mit ein. Wenn nun die tatsächliche Ausübung des Gewerbebetriebes unmöglich wird, etwa wegen der behördlichen Schließung eines Ladenlokals, kann sich die Frage stellen, inwieweit dies den Mietvertrag als gegenstandslos dastehen lassen kann. Das LG München I hat sich in einem Urteil vom 12.02.2021 (Az. 31 O 11516/20) mit einem solchen Fall auseinandergesetzt.

Zum Sachverhalt

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Gewerbefläche, die sie im Rahmen eines Gewerbemietvertrages an die Beklagte vermietet hat. § 2 Ziffer 2.1 des Mietvertrages enthielt hierbei die Zweckbestimmung: „Die Vermietung erfolgt zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes […]“.

Mit der Allgemeinverfügung der bayerischen Landesregierung vom 16.03.2020 (bestätigt durch VGH München am 30.03.2020, Az. 20 CS 20.611) wurde unter anderem die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften bis zum 19.04.2020 untersagt. Eine weitere entsprechende Verordnung trat am 20.04.2020 in Kraft.

Die Beklagte behielt infolge der Schließung den für den April 2020 fälligen Mietzins ein, begründungshalber richtete sie am 18.03.2020 ein Schreiben an die Vermieterin, in dem sie auf die Verordnung verwies. Sie sah in der Schließung, die den Betrieb ihres Geschäftsbetriebes verhinderte, einen Wegfall des Vertragszweckes. Die Vermieterin nahm sie daraufhin gerichtlich auf Zahlung des Mietzinses in Anspruch. Das LG hat der Klage stattgegeben.

Problemstellung

Zentral war die Fragestellung, ob die Zweckbestimmung im Mietvertrag tatsächlich in der Form ein essentieller Bestandteil des Vertrages war, dass ein (vorübergehender) Wegfall des Zweckes die Vertragsdurchführung hindert. Rechtlich sind hierbei folgende drei Ansätze denkbar, die das LG in Erwägung gezogen hat:

  1. Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 BGB
  2. Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
  3. Mietminderung wegen Mangels der Mietsache nach § 536 BGB

Wenn eine Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 BGB aufseiten eines Vertragspartners vorliegt, kann die andere Vertragspartei nach § 326 Abs. 1 BGB auch die ihr obliegende Leistungspflicht verweigern, sofern sie die Unmöglichkeit nicht selbst zu vertreten hat. Wenn sich die Beklagte auf § 326 Abs. 1 BGB beruft, muss also die Leistung der Klägerin unmöglich gewesen sein.

Zwar konnte die Beklagte im April 2020 ihr Geschäft nicht betreiben, allerdings ist fraglich, ob die dahingehende Zweckbestimmung Teil der Hauptleistungspflicht war. Bei objektiver Betrachtung kann dieser Zweckbestimmung jedoch keine Garantie durch die Vermieterin zu entnehmen sein, dass das Geschäft auch tatsächlich betrieben werden kann. Allenfalls ließe sich die Pflicht der Vermieterin entnehmen, den Geschäftsbetrieb der Mieterin nicht durch eigene Tätigkeiten oder Anweisungen zu stören. Die Hauptleistungspflicht beschränkt sich jedoch auf die Gebrauchsüberlassung der Mietsache (§ 535 BGB), die auch erfolgt ist. Die Vermieterin hat die Sache auch in einem Zustand überlassen, der prinzipiell für den vertragsmäßigen Zweck geeignet war. Eine Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung ist nicht ersichtlich.

Im Wesentlichen dieselben Erwägungen gelten im Hinblick auf einen Mietmangel. Das LG führte dazu aus

Ein solcher Mangel ist jede Abweichung der tatsächlichen Beschaffenheit des Mietobjekts von dem hierfür vertraglich definierten Sollstandard, die die Schwelle der Erheblichkeit […] überschreiten

Es verwies darüber hinaus auf ein BGH-Urteil vom 13.07.2011 (Az. XII ZR 189/09), dass ausgeführt hatte:

Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen [Anmerkung: also etwa behördliche Anordnungen], die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Pachtobjekts entgegenstehen, begründen nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nur dann einen Sachmangel i. S. der §§ 536 ff. BGB, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Pachtsache beruhen und nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Pächters ihre Ursache haben

Entsprechend dieser Wertung liegt auch im vorliegenden Fall kein Sachmangel vor. (Die Gewerberraummiete weist laut LG insofern keinen Unterschied zur Pacht auf.)

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Der dritte Ansatz, ein Recht zur Einbehaltung des Mietzinses zu begründen, stützt sich auf § 313 Abs. 1 BGB.

Zunächst stellte das LG hier fest, dass der Anwendungsbereich des § 313 BGB grundsätzlich eröffnet ist. Insbesondere ergibt sich keine vorrangige Sonderregelung aus Art. 240 § 2 EGBGB:

Art. 240 § 2 EGBGB verfolgt erkennbar den Zweck, dem – durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Zahlungsnot geratenen – Mieter den Gebrauch der Mietsache zu erhalten, mithin zu Gunsten der Mieter zu wirken.

Mithin verfolgt Art. 240 § 2 EGBGB, der ein Leistungsverweigerungsrecht begründet, einen anderen Zweck als § 313 BGB, der die Anpassung des Vertrages als solchem in den Fokus rückt. Gerade bei Dauerschuldverhältnissen wie der Miete, aus der immer wieder einzelne Leistungspflichten entstehen, sind die Auswirkungen dieser Regelungen grundverschieden.

§ 313 Abs. 1 BGB lautet folgendermaßen:

Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Hinzu tritt im Rahmen der Corona-Pandemie Art. 240 § 7 EGBGB, der folgendes besagt:

Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

Hieraus ergibt sich, dass die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängenden Geschäftsschließungen einen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellen. Das LG führte an, bei Kenntnis der entsprechenden Umstände sei eine Regelung im Mietvertrag über die Risikoverteilung objektiv sowie den Parteivorträgen nach zu erwarten gewesen. Insofern wäre der Vertrag auch im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB anders geschlossen worden.

Das LG stellte allerdings auch klar, dass die Betriebsschließung wegen der Corona-Pandemie kein in der Person des Mieters liegender Grund im Sinne von § 537 Abs.1 BGB ist. Dieser trifft hier also keine Risikozuweisung an den Mieter.

Zuletzt blieb allerdings noch die Frage zu klären, ob das Festhalten am Vertrag infolge der Störung der Geschäftsgrundlage unzumutbar war. Dies ist eine Voraussetzung des § 313 Abs. 1 BGB, nur im entsprechenden Falle hätte die Mieterin Vertragsanpassung verlangen können. Hierzu führte das LG aus:

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Zahlungsschuldner grundsätzlich verschuldensunabhängig für die eigene Zahlungsfähigkeit und deren Erhaltung haftet. Daraus ergibt sich, dass der Zahlungsschuldner in angemessenem und zumutbarem Umfang Rücklagen zu bilden hat […]“

Das Kriterium der Unzumutbarkeit ist insbesondere an der wirtschaftlichen Lage zu messen, in die die betroffene Vertragspartei durch den Umstand geraten ist, der zum Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt hat. Im Einzelfall kann sich hieraus ein Recht auf Vertragsanpassung ergeben. Grundsätzlich ist dem LG zufolge aber davon auszugehen, dass betroffene Gewerbemietparteien Rücklagen bilden, um die Kosten der Schließung aufzufangen. Jedenfalls kann § 313 Abs. 1 nicht zur Grundlage dafür werden, eigene Kostenrisiken auf den Vermieter umzulegen.

Fazit

Wird der Betrieb in einem Gewerbemietobjekt durch eine Allgemeinverfügung zum Infektionsschutz untersagt, so liegt hierin weder ein Mangel der Mietsache, noch ein Umstand, der zur Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung führt. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist prinzipiell denkbar, allerdings sind an die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag aus rein wirtschaftlichen Gründen hohe Anforderungen zu stellen, sodass der Anspruch nur in engen Grenzen zur Anwendung kommt.