In unseren Artikeln spielt die europäische Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit ein ums andere Mal eine Rolle. Dies lässt, die paradiesischen Überseegebiete einiger europäischer Mitgliedsstaaten im Hinterkopf, die Frage aufkommen, inwieweit ein Unionsbürger hier von seinen Grundfreiheiten profitieren kann.
Die Erwägungen hier gelten unter der Prämisse, dass wir uns auf die Grundfreiheiten aus der Unionsbürgerschaft stützen wollen. Die zahlreichen Staaten der Karibik bieten selbstverständlich eine ganze Reihe von attraktiven Investoren-Visa oder sogar Citizenship by Investment-Programmen, die als Europäer leicht zugänglich sind. Hier geht es allerdings nur um den simplen Umzug innerhalb der EU.
Die Unionsbürgerschaft nach Art. 20 Abs. 1 AEUV gewährt das Recht auf Freizügigkeit nach Art. 20 Abs. 2 AEUV, also das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Hinsichtlich der Einreise gilt: Die Einreise und eventuelle Reisebeschränkungen sind durch die Schengener Abkommen, nicht durch die EU-Verträge geregelt. Die Einreisevoraussetzungen sind also unabhängig von den Niederlassungsvoraussetzungen zu betrachten, hier sind eventuell Reisebestimmungen beachtlich, die innerhalb des Schengen-Raumes keine Anwendung finden.
Nach Art. 49 AEUV vermittelt die Unionsbürgerschaft die persönliche Freiheit, sich im Hoheitsgebiet aller Mitgliedsstaaten frei zu bewegen, nach Art. 54 AEUV haben Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründet wurden, ebenso freie Sitzwahl. Benachteiligungen von Gesellschaften nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates verstoßen gegen die Grundfreiheit aus Art. 54 AEUV.
Die überseeischen Hoheitsgebiete Dänemarks, Frankreichs und der Niederlande nach Anhang II zum AEUV sind nach Art. 198 AEUV mit der EU assoziiert, sie fallen allerdings nach Art. 355 Abs. 2 AEUV nicht in den räumlichen Anwendungsbereich der EU-Verträge. Einige Überseegebiete sind nach Art. 349, 355 AEUV Teil des Unionsgebietes, dies betrifft einige französische Überseegebiete sowie die Azoren, die zu Portugal gehören. Die niederländischen Antillen etwa sind nicht erfasst, sie sind lediglich assoziierte Gebiete.
Da sich die Assoziierung akzessorisch zum Status als Teil eines Mitgliedsstaates verhält, sind die britischen Überseegebiete mit dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU ebenfalls aus dem Anwendungsbereich der europäischen Verträge beziehungsweise der Assoziierungsabkommen ausgetreten.
Der Umfang der Assoziierung wird in Art. 199 AEUV bestimmt. Die Niederlassungsfreiheit gilt nach Art. 199 Nr. 5 AEUV grundsätzlich immer dann, wenn diese nicht aufgrund eines Beschlusses nach Art. 203 AEUV ausgeschlossen ist.
Einen Beschluss nach Art. 203 AEUV stellt der Übersee-Assoziierungsbeschluss einschließlich Grönland (B (EU) 2021/1764 dar), der die Assoziierung rechtlich ausgestaltet. Der Beschluss geht von einem Meistbegünstigtengrundsatz aus, wie er im internationalen Handelsrecht üblich ist. Dies ergibt sich aus Art. 52 des Assoziierungsabkommens, der ausdrücklich auf das General Agreement on Trade Services verweist, eines der drei grundlegenden WTO-Abkommen. Das bedeutet, dass die Assoziierung nicht weiter reicht als jene mit einer meistbegünstigten Nation nach GATS. Dies steht unter anderem der Anwendung der europäischen Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zwischen einem Mitgliedsstaat und einem Überseegebiet entgegen.
Hinzu tritt Art. 67 des Assoziierungsabkommens, der vorteilhafte steuerliche Gestaltungen unter Nutzung des Assoziierungsstatus vom Anwendungsbereich des Meistbegünstigtengrundsatzes ausschließt. Bei der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit, insbesondere als Arbeitnehmer, ist zudem Art. 52 Abs. 4 des Assoziierungsabkommens zu beachten, nachdem protektionistische Maßnahmen der Überseegebiete im Bereich des Arbeitsmarktes und der Unternehmensgründungen auch abweichend vom Meistbegünstigtenstatus zulässig sind. Dies soll einen Ausgleich für die ökonomische Dysbalance darstellen, die die ehemaligen Kolonialmächte in ihren Überseegebieten verursacht haben. Eine Unternehmensgründung oder die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses sind in aller Regel nicht ohne weiteres möglich.
Summa summarum lässt sich also festhalten, dass ein Leben in der Karibik als Unionsbürger durchaus möglich ist. Infrage kommen aber, sofern keine aufwendigere Auswanderung, sondern ein simpler Umzug unter Nutzung der europäischen Freizügigkeit geplant ist, lediglich einige französische Hoheitsgebiete. Die meisten anderen europäischen Überseegebiete verfügen über deutlich weitreichendere Autonomie.