Elektronische Akte im Zivilverfahren

Seit mit dem ERV-G vom 10.10.2013 und dem eAkte-G vom 05.07.2017 die gesetzlichen Grundlagen zur Digitalisierung von Justiz, Behörden und Anwaltschaft zunächst als Möglichkeit gelegt wurden, waren in diesem Zusammenhang primär vereinzelte Pilotprojekte zu beobachten. Für Gerichte wird die elektronische Aktenführung ab dem 01.01.2026 flächendeckend verpflichtend. Dies gilt zunächst für Zivilverfahren.

Bereits mit dem 01.01.2022 tritt allerdings die Soll-Vorschrift des § 130d ZPO in Kraft, die Anwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechtes verpflichtet, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen sowie dazugehörige Anlagen in elektronischer Form einzureichen.

Grundlagen des digitalisierten Prozesses

Die Möglichkeit für Gerichte, Prozessakten elektronisch zu führen, ergibt sich aus § 298a ZPO. Die Art und Weise der elektronischen Prozessführung sowie die relevanten Sicherheitsstandards werden an dieser Stelle nicht spezifiziert, vielmehr enthält § 298a Abs. 1 ZPO eine umfassende Verordnungsermächtigung der Bundesregierung. Diese Regelungsmethodik ist der Natur der Sache nach folgerichtig: IT-Sicherheit ist trotz seiner enormen Tragweite schwerlich ein Thema für die Gesetzgebung, da die Entwicklungen zu dynamisch verlaufen. Speziell hinsichtlich der elektronischen Prozessakte tritt der lange Vorlauf hinzu; da die Schaffung der digitalen Infrastruktur und die Etablierung einer Prozesspraxis auf dieser Basis im bundesweit geregelten Verfahrensrecht mit erheblichem Aufwand einhergeht, wird zunächst ein grober gesetzlicher Rahmen geschaffen, der im weiteren Verlauf durch Rechtsverordnungen ausgestaltet werden kann.

Akteneinsicht nach § 299 ZPO wird bei Führung elektronischer Verfahrensakten über das Akteneinsichtsportal des Bundes und der Länder gewährt, das zentral beim baden-württembergischen Justizministerium geführt wird. Dies ist allerdings nur umsetzbar, soweit das zuständige Gericht die Verfahrensakten dort separat hinterlegt hat.

Qualifizierte elektronische Signatur

Ein zentraler Begriff, der bereits seit langem in § 126a BGB als Ersatz für gesetzliche Schriftformerfordernisse im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB verankert ist, ist die qualifizierte elektronische Signatur. Diese soll der eigenhändigen Unterschrift funktional gleichstehen, was bedeutet, dass sie zugleich die Kenntnisnahme einer Partei und deren Authentifizierbarkeit gewährleistet. Im Zusammenhang mit elektronisch erstellten und übermittelten Verfahrensdokumenten gewinnt dieser Begriff nochmals an Relevanz. Was eine qualifizierte elektronische Signatur ist, richtet sich nach der EU-Verordnung 910/2014 und deren Begriffsbestimmungen in Art. 3 der VO:

Art. 3 Nr. 12:

„Qualifizierte elektronische Signatur“ ist eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht.

Eine fortgeschrittene elektronische Signatur in diesem Sinne besteht aus Daten, die anderen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verbunden werden (Signatur), und die Anforderungen des Art. 26 der VO erfüllen (fortgeschritten): Die Daten sind eindeutig einem Unterzeichner zugeordnet, dieser kann anhand von ihnen identifiziert werden. Dabei muss er die Daten eigenständig hinzufügen können, so wie er auch eine handschriftliche Unterschrift eigenständig setzen kann. Zudem müssen die Daten, die die Signatur bilden, in der Art und Weise mit dem Dokument verbunden sein, dass nachträgliche Änderungen nicht möglich beziehungsweise gegebenenfalls erkennbar sind.

Qualifizierte elektronische Signaturen müssen zudem auf einem qualifizierten Zertifikat beruhen. Dieses Zertifikat ist folgendermaßen definiert:

Art. 3 Nr. 15:

„Qualifiziertes Zertifikat für elektronische Signaturen“ ist ein von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter ausgestelltes Zertifikat für elektronische Signaturen, das die Anforderungen des Anhangs I erfüllt.

Art. 3 Nr. 14:

„Zertifikat für elektronische Signaturen“ ist eine elektronische Bescheinigung, die elektronische Signaturvalidierungsdaten mit einer natürlichen Person verknüpft und die mindestens den Namen oder das Pseudonym dieser Person bestätigt.

Qualifizierte Vertrauensdienste sind solche Dienstleister, die auf die Validierung und Sicherung elektronischer Daten spezialisiert sind und die Anforderungen der Verordnung an Vertrauensdienstleister erfüllen. Dies beinhaltet insbesondere die Meldung bei und die Kooperation mit einer vom jeweiligen Mitgliedsstaat benannten Aufsichtsbehörde. Zentral ist hierbei Art. 20 der VO, der eine Prüfung durch eine behördlich benannte Konformitätsbewertungsstelle auf eigene Kosten mindestens alle 24 Monate vorsieht. Dabei kann die Aufsichtsbehörde nach eigenem Ermessen häufigere Prüfungen anordnen.

Hinzu tritt, dass ein Vertrauensdienst qualifizierte Zertifikate zu erstellen hat. Nur auf solchen kann eine qualifizierte elektronische Signatur beruhen. Aus dem Zertifikat müssen insbesondere der Vertrauensdienstleister sowie seine zuständige Aufsichtsbehörde eindeutig hervorgehen.

Liegen alle Voraussetzungen der EU-VO 910/2014 vor, so kann die qualifizierte elektronische Signatur die eigenhändige Unterschrift in ihrer rechtlichen Wirkung ersetzen. Nach § 130b ZPO gilt dies ausdrücklich auch für gerichtliche Dokumente.

Begriff des elektronischen Dokumentes und Ausnahmen

Zentrale Norm zum Begriff des elektronischen Dokumentes ist § 130a ZPO. Im Mittelpunkt stehen dabei wegen der datenschutztechnischen Sensibilität eines Gerichtsprozesses die sichere Übermittlungsform nach § 130a Abs. 4 ZPO sowie die sichere Form der elektronischen Datenspeicherung. Hier sind die nutzbaren Kommunikationswege aufgelistet; die Aufzählung kann durch Verordnung der Bundesregierung erweitert und spezifiziert werden. Die Bundesregierung hat auf Basis der Verordnungsermächtigung mit der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ERVV Gebrauch gemacht. Die ERVV eröffnet keine über § 130a Abs. 4 ZPO hinausgehenden Übermittlungsformen, die Aufzählung ist insoweit als abschließend zu betrachten. Äußerst relevant ist allerdings § 5 ERVV betreffend der Bekanntmachung technischer Standards. Als taugliche Dateiformate werden hier PDF und TIFF sowie bestimmt strukturierte Dokumente auf Basis der Markup-Sprache XML genannt; die Dokumente müssen nach § 5 Abs. 2 ERVV sowohl im Hinblick auf (Fälschungs-)Sicherheit als auch auf Barrierefreiheit dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. § 5 ERVV verweist dabei auf das gemeinsame Justizportal des Bundes und der Länder justiz.de, wo der jeweils verbindliche Stand der Technik publik gemacht wird.

§ 130c ZPO legt fest, dass Formulare, beispielsweise für Anträge, elektronisch bereitgestellt werden können oder müssen, sofern dies in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung vorgesehen wird.

Beachtlich ist zudem die Beweislastregel des § 130d ZPO: Anwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechtes sind grundsätzlich zur elektronischen Übermittlung nach § 130a Abs. 4 ZPO verpflichtet. Ausnahmen sind nur bei Unmöglichkeit der entsprechenden elektronischen Übermittlung zulässig, wobei das Gesetz maximal von einer „vorübergehenden Unmöglichkeit“ ausgeht. Dies macht deutlich, dass die durch die Vorschrift verpflichteten Personen nunmehr eine Obliegenheit haben, für den Zugang zu Übertragungswegen nach § 130a Abs. 4 ZPO Sorge zu tragen. Dauerhafte Ausnahmen werden angesichts des gesetzlichen Wortlautes schwer zu rechtfertigen sein. Die technische Unmöglichkeit muss dabei von der verpflichteten Person nachgewiesen werden. Der gesetzliche Wortlaut dürfte damit im Zivilprozess auch offene Streitfragen wie etwa um Kostenübernahmen für Aktenausdrucke beseitigen, die im Strafrecht (Pflicht erst ab 2026) nach wie vor diskutiert werden. Hier werden etwa aufseiten von Pflichtverteidigern Einwände vorgebracht, die darauf abzielen, den Nicht-Besitz eines eigenen Laptops zur Akteneinsicht während des Prozesses als Argument dafür anzuführen, dass ohne eine Kostenerstattung für Aktenausdrucke der prozessuale Grundsatz der Waffengleichheit aus Art. 3, 103 GG verletzt würde.

Praktische Betrachtung

Die Pflicht, Anlagen elektronisch einzureichen, hat naheliegenderweise erhebliche Auswirkungen auf die Litigation Hold-Praxis. Dokumente, die etwa zu Nachweiszwecken erstellt und verwahrt werden, müssen in einer Form vorliegen, die entsprechend den Sicherheits- und Authentizitätsanforderungen des § 130a ZPO übermittelt werden können. Eine Dokumentation von Datenverarbeitungs- und Speicherungsprozessen, die die Schaffung umfassender Transparenz ermöglicht, dürfte also nicht mehr nur im Hinblick auf DSGVO-relevante Daten, sondern auch auf das Verfahrensrecht und eventuelle Litigation Hold-Zwecke erforderlich sein. Zudem ist die Nachweispflicht beachtlich, falls ein (qualifiziertes!) elektronisches Einreichen nicht möglich ist.


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Fazit

Mit dem Inkrafttreten der neuen Normen in der ZPO wird ein weiterer Schritt hin zur dringend überfälligen Digitalisierung der Justiz, insbesondere in Zivilprozessen getan. Die während der Covid 19-Pandemie erhobenen Statistiken haben gezeigt, dass Zivilgerichte teilweise nur bei 25 % ihrer üblichen Auslastung arbeiteten, da viele Verfahrensabschnitte durch Präventionsmaßnahmen verzögert oder unterbunden wurden.

Die lange Übergangsphase, in der elektronische Aktenführung nicht für die Gerichte, jedoch für die Parteivertreter verpflichtend ist, und während der nur einige bestimmte Gerichte die elektronische Prozessakte als Pilotprojekt führen, kann die Praxis für Anwälte und Parteien verkomplizieren, da zum einen Prozesse unterschiedlich geführt werden und zudem auch Litigation Hold-Konzepte in Unternehmen auf beide Arten der Prozessführung ausgerichtet werden müssen.

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