Gewerbliche Inkassodienstleister operieren im Grenzbereich der Rechtsdienstleistungen, die herkömmlicherweise ausschließlich Rechtsanwälten vorbehalten sind. Grundlage hierfür ist eine Inkasso-Lizenz nach § 10 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG). Trotz dieser gesetzlichen Grundlage kann es im Einzelfall schwierig sein, trennscharf zwischen erlaubten und nicht erlaubten Rechtsdienstleistungen abzugrenzen und die zulässige Reichweite der Tätigkeit zu bestimmen. Das AG Coburg hat sich in einem Urteil vom 14.06.2021 (Az. 12 C 525/21) mit einem solchen Fall auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Die Klägerin war ein Inkassounternehmen, das mit einer Lizenz nach § 10 RDG operierte und sich auf die Beitreibung von Schadensersatzansprüchen spezialisiert hatte. Die Beklagte war ein Versicherungsunternehmen. Der streitgegenständliche Schadensersatzanspruch war aus einem Verkehrsunfall heraus entstanden. Der Unfallverursacher war bei der Beklagten haftpflichtversichert, weswegen diese in der Pflicht war.
Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der Klägerin, indem sie die Wirksamkeit der Forderungsabtretung bestritt. Diese ergebe sich aus § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG. Demnach stelle die Geschäftstätigkeit der Klägerin eine unerlaubte Rechtsdienstleistung dar, wodurch alle in diesem Rahmen geschlossenen Verträge nach § 134 BGB nichtig wären. Dies ließe sich folgendermaßen begründen: § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG erlaubt Inkassodienstleistungen, wenn der Dienstleister bei der zuständigen Behörde registriert ist; andere Rechtsdienstleistungen sind indes nicht von dieser Erlaubnis erfasst. Die Beratung und Fallprüfung ist in § 2 Abs. 1 RDG als separate Fallgruppe der Rechtsdienstleistung geführt und somit nicht von der Erlaubnis gedeckt. Da allerdings Schadensersatzansprüche notwendigerweise im Einzelfall geprüft werden müssten, habe die Klägerin Rechtsdienstleistungen erbracht, die nicht von ihrer Erlaubnis nach § 10 RDG gedeckt sind.
Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes
Das AG wies dieses Vorbringen zurück und gab der Klage statt. Die Zulässigkeit eines Geschäftsmodells dieser Art ist, wie in der Urteilsbegründung ausgeführt, höchstrichterlich bestätigt. Der BGH hatte unter anderem in einem Urteil vom 27.11.2019 (Az. VIII ZR 285/18) klargestellt, dass der Begriff der Inkassodienstleistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 RDG, die von einer Erlaubnis nach § 10 RDG gedeckt sind, weit auszulegen ist.
Dies hängt mit dem Schutzzweck der Beschränkungen zusammen, die das RDG Rechtsdienstleistern auferlegt. Dieser erfasst insbesondere die Rechtssuchenden, also die Kunden eines Rechtsdienstleisters. Diese sollen vor unqualifizierter Rechtsberatung geschützt werden; daher ist die Beratung und Einzelfallprüfung grundsätzlich zugelassenen Anwälten vorbehalten, andere Rechtsdienstleister sind auf die Inkasso-Tätigkeit beschränkt. Der BGH betrachtete diese Grenze allerdings als nicht kategorisch: solange der Schutzzweck erreicht würde, ist eine mit der Inkassotätigkeit im Zusammenhang stehende Fallprüfung als erlaubt zu betrachten. Solange eine gewisse Beratungstiefe nicht überschritten wird, für die anwaltliche Sachkunde unabdingbar ist, ist also die Fallprüfung Teil der Inkassodienstleistung. Jede andere Betrachtungsweise würde durch übermäßige Formalisierung des Prozesses die Suche nach Rechtshilfe nur verkomplizieren, ohne tatsächlich ihrer Qualität zu dienen. Der Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes würde dann leerlaufen.
Grundlage in den Grundrechten
Die Ansicht des AG entspricht nicht nur der ständigen Rechtsprechung des BGH (siehe auch BGH VIII ZR 130/19 vom 08.04.2020), sondern die Argumentation findet sich sogar in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes wieder. Am 20.02.2002 (Az. 1 BvR 423/99) stellte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes klar, dass Hinweise auf die Rechtslage als Grundlage für eine Inkassozession von einer Inkassolizenz gedeckt sind. Das BVerfG entschied mit dem Beschluss über eine Rechtsfrage, die in mehreren Verfassungsbeschwerden aufgekommen war. Fraglich war, ob das RDG eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG darstellte.
Grundsätzlich sah der Senat keine Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des RDG. Er stellte allerdings klar, dass sämtliche Beschränkungen am oben benannten Schutzzweck des RDG zu bemessen sind. Gesetze dürfen Grundrechte nur insoweit beschränken, als es zur Erreichung eines legitimen Zweckes geeignet, erforderlich und angemessen ist (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, an dem jede staatliche Maßnahme zu messen ist). Daher dürften die Beschränkungen nicht weiter gehen, als zum Schutz der Rechtssuchenden notwendig. Wenn die Rechtsverfolgung durch die Verdrängung verbraucherfreundlicher Angebote ohne Notwendigkeit verkompliziert würde, würde dies dem Schutzzweck des RDG gerade zuwiderlaufen.
Sonstige Interessenkollisionen
Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhang aufkommt, ist die nach dem Schutz des anwaltlichen Berufsstandes. Es ließe sich argumentieren, dass Rechtsanwälte, die entsprechend ihrer Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege strengeren Beschränkungen unterliegen, durch ein Ungleichgewicht im Wettbewerb mit ihren qualitativ höherwertigen, aber unflexibleren Rechtsdienstleistungen verdrängt werden könnten.
Diese Erwägungen spielen im Zusammenhang mit dem RDG eine eher geringe Rolle, da das RDG recht eindeutig dem Schutz Rechtssuchender dient. Die Interessenkollision wurde jedoch vom Markt wie auch vom Gesetzgeber wahrgenommen und hat zu einer kleinen Revolution im anwaltlichen Berufsrecht geführt. Das Gesetz zur Förderung verbraucherfreundlicher Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt vom 10. Juni 2021 geht gewisse Aspekte des anwaltlichen Berufsrechtes an, die es bisher sehr unflexibel gemacht haben – etwa das Verbot von Erfolgshonoraren und der Prozessfinanzierung. Dieses Gesetz wird uns in Zukunft noch häufiger auf UA beschäftigen.
Fazit
Die Tatsache, dass die Prüfung eines Einzelfalles und die Inkassotätigkeit unterschiedliche Fallgruppen in § 2 RDG darstellen, deutet nicht darauf hin, dass mittels einer Inkassoerlaubnis keinerlei Prüfung des Einzelfalls vorgenommen werden darf. Entscheidend ist, dass die Dienstleister nur in dem Umfang eine Fallprüfung vornehmen, in dem sie hierzu auch hinreichend qualifiziert sind. Durch die Tätigkeit darf die Qualität der Rechtshilfe, die Rechtssuchende erhalten, nicht gemindert werden, da das RDG gerade deren Schutz dient.
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