BGH: Haftung eines Zombie-Unternehmens

Zombies gibt es nur an Halloween – und im Handelsregister. Mit dem Begriff „Zombie-Unternehmen“ wird im Allgemeinen ein Unternehmen beschrieben, das nicht mehr wirtschaftlich geführt werden kann und keinerlei Chancen mehr hat, der Insolvenz zu entkommen. Ein gängiges Anzeichen für ein Zombie-Unternehmen ist es, wenn die Zinslast der offenen Verbindlichkeiten dauerhaft den Gewinn übersteigt. Dies tritt mitunter deswegen auf, weil Zombie-Unternehmen typischerweise Kredite nutzen, um die Insolvenzlage künstlich hinauszuzögern – weswegen auch die Untoten-Analogie sehr treffend ist. Der BGH hat in einem Urteil vom 27.07.2021 (Az. II ZR 164/20) über die Haftung der Geschäftsführung eines Zombie-Unternehmens auf Schadensersatz zugunsten seiner Gläubiger entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger war Kunde der S-GmbH, die er am 14.01.2015 mit Fassadenarbeiten an einem Gebäude beauftragte. Vertragsgemäß zahlte er 13.000 € Abschlag im Voraus an die S-GmbH. Diese erbrachte nur eine mangelhafte Teilleistung und brach die Arbeiten schließlich ab. Eine Nachfristsetzung seitens des Klägers blieb erfolglos. Auf Antrag des Klägers ordnete das LG Karlsruhe 16.11.2016 ein selbstständiges Beweisverfahren an und gab ein Sachverständigengutachten in Auftrag. Dieses kam zu dem Schluss, dass sie S-GmbH nur 5 % der vereinbarten Werkvertragsleistung (Wert: 900 €) erbracht, zugleich aber durch mangelhafte Arbeiten einen Schaden in Höhe von 6.400 € am Gebäude verursacht hatte.

Gegen den Geschäftsführer der S-GmbH war am 05.12.2016 ein Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung ergangen. Verspätet stellte er schließlich den Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S-GmbH wurde am 21.03.2017 eröffnet.

Der Insolvenzverwalter der S-GmbH gab dem Gericht gegenüber an, dass die Insolvenzmasse die Ansprüche des Klägers auf Rückzahlung des Abschlages und auf Schadensersatz nicht decke und diese daher leerlaufen würden. Der Kläger hatte also die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens vergeblich auf sich genommen – in dem Glauben, von der solventen S-GmbH Rückzahlung erlangen zu können.

Da dies seiner Ansicht nach auf die vorsätzliche Insolvenzverschleppung seitens des Geschäftsführers zurückzuführen war, machte er gegen diesen durch Klage einen Anspruch in Höhe von insgesamt 6000 € für die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens, inklusive Rechtsanwalts- und Begutachtungskosten geltend. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg, der BGH verwarf schließlich auch den Revisionsantrag des Beklagten.

Prozesskosten in der Insolvenzverschleppung

Das LG Karlsruhe hatte den Beklagten zum Ersatz aller Prozesskosten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO verurteilt. Nach § 823 Abs. 2 BGB kann der Ersatz des Schadens verlangt werden, der dadurch entsteht, dass der Schuldner ein zum Schutz des Gläubigers dienendes Gesetz verletzt. § 15a der Insolvenzordnung (InsO) verpflichtet die vertretungsberechtigten Organe einer juristischen Person zum Insolvenzantrag, wenn die juristische Person zahlungsunfähig (§ 17 Abs. 2 InsO) wird. In der GmbH sind nach § 35 GmbHG die Geschäftsführer vertretungsberechtigt. Daher sind die Geschäftsführer auch zur Stellung des Insolvenzantrages verpflichtet.

Beim zivilrechtlichen Schadensersatz werden zwei Ebenen unterschieden: die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Erstere beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Handeln des Schuldners und einer daraus resultierenden Pflichtverletzung, zweitere den Zusammenhang zwischen den konkret verletzten Pflichten und den wirtschaftlichen Schadenspositionen.

Der Insolvenzantrag bzw. die folgende Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind im Handelsregister öffentlich einsehbar. Dies dient dem Schutz der Gläubiger der Gesellschaft. Niemand soll in dem Glauben handeln, einem solventen Geschäftspartner gegenüberzustehen, wenn dies nicht der Fall ist. Es lässt sich also festhalten

  1. Der Kläger war Gläubiger der S-GmbH, § 15a InsO diente also zu seinem Schutz,
  2. Der Geschäftsführer hat seine persönliche Antragspflicht verletzt,

Womit die haftungsbegründende Kausalität nach § 823 Abs. 2 BGB festzustellen ist.

Ein selbstständiges Beweisverfahren über den Wert von Leistungen und Mängeln dient in der Regel dazu, die Höhe eines Anspruches festzustellen, um diesen dann geltend machen zu können. Diese Aufwendungen werden typischerweise nur dann getätigt, wenn von der Solvenz des Schuldners auszugehen ist. Eine Geltendmachung des Anspruches wäre ansonsten zwecklos, und das Beweisverfahren somit ohne Effekt. Erkennbar ist also, dass die Aufwendungen des Klägers im Beweisverfahren in dem Vertrauen getätigt wurden, die S-GmbH sei solvent. Dies durfte er auch annehmen, da aus dem Handelsregister nichts anderes hervorging. Es war objektiv absehbar und nicht abwegig („adäquat-kausal“), dass der Kläger diese Aufwendungen tätigen würde. Somit ist auch die haftungsausfüllende Kausalität gegeben.

Der BGH brachte an dieser Stelle § 826 BGB ins Spiel, eine Generalklausel zur Haftung bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Abgrenzung zwischen § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz erfolgt anhand sehr technischer Verschuldensmerkmale und ist aus Laiensicht nicht immer eindeutig. Da der Schadensersatzanspruch nach beiden Normen allerdings in aller Regel den gleichen Umfang hat, ist die technische Abgrenzung in der Praxis selten relevant. Wichtig an dieser Stelle ist nur zu wissen: bei jeder vorsätzlichen Pflichtverletzung kann § 826 BGB mit seinem deutlich weiteren Anwendungsbereich greifen. § 823 Abs. 2 BGB greift auch bei reiner Fahrlässigkeit, hat dafür aber einen weniger weiten Anwendungsbereich, da der Tatbestand höhere Anforderungen (etwa ein weiteres Schutzgesetz) stellt.

Begriff der Zahlungsunfähigkeit

Abschließend werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Frage: wann ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wann wird es zum Zombie-Unternehmen?

Entscheidend für den Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist § 17 Abs. 2 InsO. Ein Schuldner ist dann zahlungsunfähig, wenn er fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen kann. Fällig ist ein Anspruch dann, wenn der Gläubiger ihn rechtlich gesehen geltend machen kann. Grundsätzlich sind Ansprüche mit Entstehung sofort fällig, im geschäftlichen Bereich finden sich allerdings häufig abweichende vertragliche Regelungen. Eine Kreditrate etwa soll in aller Regel nicht sofort beglichen werden – und der Kreditgeber soll sie auch nicht sofort einfordern können. Daher werden Fälligkeitszeitpunkte vertraglich vereinbart. Ist der Schuldner allerdings nach Berücksichtigung von Fälligkeitsvereinbarungen nicht in der Lage, seine Verbindlichkeiten zu bedienen, ist er zahlungsunfähig.

Zombie-Unternehmen zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie streng technisch nach § 17 Abs. 2 InsO nicht zahlungsunfähig sind. Sie verschaffen sich regelmäßig durch Darlehen liquides Kapital, um die aktuell fälligen Ansprüche bedienen zu können. Die aufgenommenen Darlehen sind dann nicht sofort fällig, sondern werden es erst in der Zukunft. Technisch gesehen ist die Zahlungsunfähigkeit also vermieden worden.

Das Problem: Dies ist nur dann eine valide Strategie der Unternehmenssanierung, wenn der Gewinn regelmäßig höher liegt als die Zinsraten der laufenden Darlehen. Ist dies nicht der Fall, hat das Unternehmen keine Chance, jemals wieder „tatsächlich“ solvent zu werden. Stattdessen werden weitere Darlehensschulden angehäuft, die mangels Gewinnen nicht bedient werden können – und wieder weitere Darlehen erfordern, sobald sie fällig werden. Das Unternehmen ist technisch gesehen nicht zahlungsunfähig, es kann allerdings keinerlei Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln bedienen, und behält auch keinen Gewinn zurück. Es ist aus rechtlicher Perspektive nicht „tot“ – aus tatsächlicher, wirtschaftlicher Perspektive aber doch.

Fazit

Die Insolvenzantragspflicht ist eine Pflicht, die zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen von Gläubigern einer juristischen Person dient. Wenn eine vertretungsberechtigte Person diese Pflicht verletzt, macht sie sich damit schadensersatzpflichtig, wenn Gläubiger Aufwendungen im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft tätigen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Maßnahmen zur Anspruchsfeststellung und -durchsetzung angestrengt werden, da diese bei unerwarteter Insolvenz ihren Zweck verfehlen.

An der Problematik der Darlehen-um-Darlehen-Strategie wird ersichtlich, dass Zombie-Unternehmen endlose Kapitalfresser sind und ein erhebliches Risiko für die Finanzwirtschaft darstellen. Sie können liquides Kapital ausweisen und solvent erscheinen, de facto werden sie aber niemals wieder solvent werden.

Stand 2013 wurde geschätzt, dass 12 % allen Firmenkapitals in Deutschland in Zombieunternehmen gebunden ist – ein niemals endender Halloween-Spaß für alle Insolvenzrechtler.