Commercial Courts: Alternative zu Schiedsgerichten?

Zivilprozesse auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechtes werden vor vielen Landgerichten von spezialisierten Handelskammern bearbeitet. Aus dem Bundesjustizministerium liegt mittlerweile ein Referentenentwurf vor, der bundesweit einen rechtlichen Rahmen für die Einrichtung englischsprachiger Handelskammern an höheren ordentlichen Gerichten vorsieht. Diese sollen für Unternehmen eine Alternative zu Handelsschiedsgerichten darstellen und Deutschland im B2B-Bereich zu einem attraktiven Gerichtsstandort machen.

Problemstellung

Streitigkeiten zwischen zwei Unternehmen sind häufig komplex und verlangen von den entscheidenden Richtern ein intuitives Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge. Auch müssen Richter nicht selten zumindest ein Grundverständnis in anderen fachfremden Materien aufweisen, um die Argumente und Erläuterungen der Parteien und Sachverständigen nachvollziehen zu können. Dies hängt damit zusammen, dass Streitigkeiten zwischen Unternehmen regelmäßig sehr technischer Natur sind, wenn beispielsweise beurteilt werden muss, ob ein gelieferter Rohstoff oder eine verkaufte Software mangelhaft war. Dies ist zwar primär die Domäne der bestellten Sachverständigen, allerdings muss auch deren Gutachten umfassend verstanden werden.

Handelskammern innerhalb der ordentlichen Gerichte dienen daher in erster Linie dem Zweck der Spezialisierung und der Fokussierung.  Richter in Handelskammern werden zu Experten in der sehr speziellen Materie des Handels- und Gesellschaftsrechtes und gewöhnen sich an die Herangehensweise, die zur effizienten und interessengerechten Bearbeitung handelsrechtlicher Fälle erforderlich ist. Die Einrichtung hoch spezialisierter Commercial Courts soll an dieses bewährte Modell anknüpfen.

Zielsetzung

Der Referentenentwurf setzt insbesondere am Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und der Zivilprozessordnung (ZPO) an. Er schafft insofern einen einheitlichen Rahmen für die jeweilige Justiz aller Länder.

Das Ziel des Entwurfes ist es dabei in erster Linie, die deutsche Justiz und das deutsche Recht zu einem attraktiven Rahmen für internationale Handelsverträge zu machen. In grenzüberschreitenden Verträgen werden sowohl das anwendbare materielle Recht als auch der Gerichtsstand durch den Vertrag bestimmt.

Die deutsche Justiz soll dabei nicht nur im Vergleich zur Justiz anderer Länder, sondern auch im Vergleich zu privaten Handelsschiedsgerichten zu einer attraktiveren Option werden. Dieses ambitionierte Unterfangen wird unter anderem dadurch in Angriff genommen, dass Englisch die Verfahrenssprache der Commercial Courts sein soll.

Maßnahmen

Die konkrete Justizorganisation bleibt bei alledem Sache der Länder, die Gesetzesänderung auf Bundesebene stellt daher in erster Linie eine Erlaubnis an die Länder dar, das Prozessrecht einschneidend zu ändern, und räumt in diesem Zuge mögliche verfassungsrechtliche Bedenken aus.

Die erste und wichtigste Maßnahme ist die Etablierung eines neuen Instanzenzuges für internationale Handelsstreitigkeiten. Vorgesehen ist dabei die Einrichtung ständiger Commercial Chambers an den Landgerichten. Diese sollen unter anderem die Möglichkeit haben, alle handelsrechtlichen Verfahren auf Englisch durchzuführen. Englisch soll dabei vollwertige Verfahrenssprache werden, was bedeutet, dass die Einreichung sämtlicher Klageschriften, Erwiderungen, Anträge und Nachweise auf Englisch erfolgen darf. Auch das Urteil soll auf Englisch verfasst und bekannt gegeben werden. Ob Deutsch oder Englisch zur Verfahrenssprache bestimmt wird, soll zur Disposition der Parteien stehen. Das Gericht stellt die vereinbarte Sprache in der Folge verbindlich als Verfahrenssprache fest.

Zudem sollen die Länder die Möglichkeit erhalten, an ihren Oberlandesgerichten spezialisierte Handelssenate, die sogenannten Commercial Courts, einzurichten, welche Eingangsinstanz für handelsrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von über einer Million Euro sein sollen. Auch vor den Commercial Courts soll die Verfahrenssprache von den Parteien bestimmt werden.

Als Revisionsinstanz soll zuletzt auch der Bundesgerichtshof die Erlaubnis erhalten, Verfahren vollständig in englischer Sprache durchzuführen. Die Änderungen, die der Entwurf vorsieht, erfassen also den gesamten handelsrechtlichen Instanzenzug. Der Entwurf passt zudem sämtliche Regelungen über das Berufungs- und das Revisionsverfahren so an, dass sie mit dem faktischen neuen Instanzenzug kompatibel sind.

Einige weitere Regelungen werden in Anlehnung an die Praxis der internationalen Handelsschiedsgerichte angepasst. Dies soll die Verfahren vor den Handelsgerichten schneller und effizienter machen. So werden beispielsweise die Regelungen zur Festsetzung von Verhandlungsterminen gegenüber dem herkömmlichen Zivilverfahren gelockert. Zudem soll der vorsitzende Richter mit den Parteien zu Beginn des Prozesses einen verbindlichen Plan über die Abfolge der Verhandlungstermine erarbeiten, um die Planbarkeit des Verfahrens für beide Parteien zu erhöhen. Diese Regelung soll dafür sorgen, dass durch die vollständige Planbarkeit innerhalb der streitenden Unternehmen weniger Ressourcen durch das Verfahren gebunden sind und der wirtschaftliche Schaden für beide Parteien minimiert wird.

Konkurrenz für Schiedsgerichte?

Der Referentenentwurf adressiert die Defizite des deutschen Gerichtsprozesses im Kontext des internationalen Handels insofern auf mehreren Ebenen und geht dabei diverse praktisch relevante Probleme an. Der Vergleich zu den privaten Schiedsgerichten ist dennoch sehr ambitioniert, da diese einen unvergleichlichen Vorteil auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung genießen.

Das New Yorker Übereinkommen

Die Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards von 1958, kurz als New Yorker Übereinkommen bezeichnet, ist ein multilaterales Abkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit und regelt die Grundzüge eines angemessenen Schiedsverfahrens sowie seiner rechtlichen Wirkung.

Wenn ein Schiedsgericht, das nach den Bestimmungen des New Yorker Übereinkommens errichtet wurde, ein formgültiges Urteil spricht, so stellt dieses in jedem Unterzeichnerstaat einen vollstreckbaren Titel dar. Es bedarf also keiner separaten Anerkennung durch die Justiz des Landes, in dem das Urteil vollstreckt werden soll, das Urteil ist unmittelbar rechtlich bindend.

Dies ist bei staatlichen Gerichten anders. Ein rechtskräftiges Urteil eines deutschen Gerichtes stellt nur für die deutschen Behörden einen unmittelbar vollstreckbaren Titel dar, auf Grundlage des Urteils kann also bei Bedarf die Zwangsvollstreckung betrieben werden. Soll das Urteil allerdings in Brasilien vollstreckt werden, so muss es vorher durch die brasilianische Justiz anerkannt werden – ein Verfahren, das aufwendig ist und nicht immer positiv entschieden wird.

Ein Urteil eines internationalen Schiedsgerichtes, das entsprechend den Regeln des New Yorker Übereinkommens errichtet wurde, ist dagegen ein unmittelbar vollstreckbarer Titel und kann den brasilianischen Behörden ohne weiteres übergeben werden, um die Vollstreckung einzuleiten.

Schiedsgerichte bestechen daher nicht nur durch ihr effizientes Hauptverfahren, sondern insbesondere durch ein außerordentlich effizientes Vollstreckungsverfahren.

Praxisrelevanz

Das New Yorker Übereinkommen wird von 172 Jurisdiktionen angewendet, darunter alle bedeutenden Wirtschaftsmächte der Welt. Zu den wenigen Ländern, die das Übereinkommen nicht anwenden, gehören beispielsweise Eritrea, die Republik Kongo und Nordkorea. Es ist also kaum übertrieben, zu sagen: Wer ein Urteil vor einem Handelsschiedsgericht erwirbt, kann dieses faktisch sofort weltweit vollstrecken.

Deutschland hat einige bi- und multilaterale Abkommen über die Amtshilfe abgeschlossen, die auch den Justizvollzug regeln. Daher sind deutsche Gerichtsurteile in einzelnen Ländern als vollstreckbare Titel anerkannt, darunter in erster Linie Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes. Im globalen Kontext sind deutsche Gerichtsurteile mit Schiedsurteilen allerdings nicht konkurrenzfähig.

Materielles Recht als Kriterium

Ein weiterer Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist jener des materiellen Rechts: Der Gerichtsstand wird regelmäßig so gewählt, dass er mit dem anwendbaren materiellen Recht kompatibel ist. In den Vergleich der Justizstandorte ist daher neben dem Vergleich des Prozessrechts auch ein Vergleich des einschlägigen materiellen Rechts mit einzubeziehen. Das materielle Handels- oder Vertragsrecht wird durch den Referentenentwurf indes nicht berührt.

Fazit

Der Referentenentwurf zur Stärkung der deutschen Justiz im internationalen Handel stellt ein ambitioniertes Projekt dar und verfolgt einige innovative Ansätze. Die Lockerungen der Regeln zur Verfahrenssprache sind gewissermaßen ein Paradigmenwechsel in der deutschen Verfahrensrechtsordnung und könnten definitiv dazu beitragen, den Justizstandort Deutschland im Kontext des internationalen Handels aufzuwerten.

Indes muss allerdings angemerkt werden, dass die ebenfalls adressierte Konkurrenz mit privaten Schiedsgerichten ein deutlich schwierigeres Unterfangen ist. Die Vollstreckungsregelungen des New Yorker Übereinkommens stellen einen strukturellen Vorteil der Handelsschiedsgerichte dar. Auch an diesem Aspekt kann der deutsche Gesetzgeber arbeiten, hierzu wird allerdings in erster Linie der Abschluss entsprechender völkerrechtlicher Abkommen unabdingbare Voraussetzung sein.