BGH: Prozesskostenhilfe für Kapitalgesellschaften

Der BGH hat sich in einem Beschluss vom 30.07.2020 mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Kapitalgesellschaften Prozesskostenhilfe erhalten können (Az. III ZA 10/20).

Problemstellung

Eine natürliche Person, die sich ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nach das Führen eines Prozesses nicht leisten kann, kann nach § 114 ZPO Prozesskostenhilfe beantragen. Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Verhältnisse kommt ihr eigenes Vermögen in Betracht.

Das Vermögen von Kapitalgesellschaften, die eigenständige juristische Personen sind, ist in der Regel strikt von dem Vermögen ihrer Gesellschafter zu trennen. Etwas anderes gilt beim Antrag auf Prozesskostenhilfe: § 116 ZPO bezieht das Vermögen aller wirtschaftlich am Rechtsstreit Beteiligten in die Betrachtung mit ein. Das bedeutet, eine Kapitalgesellschaft kann nur dann Prozesskostenhilfe beantragen, wenn auch ihre Gesellschafter den Prozess nicht finanzieren können.

Darüber hinaus stellt § 116 ZPO weitere Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen: die Unterlassung der Rechtsverfolgung müsste allgemeinen Interessen zuwiderlaufen.

Die Reichweite dieses Kriteriums ist unbestimmt. Dementsprechend hatte der BGH schon mehrfach über PKH-Anträge von Kapitalgesellschaften zu entscheiden. In einem Verwerfungsbeschluss vom 23.07.2019 (Az. II ZR 56/18) hatte der BGH zunächst hinsichtlich des Zwecks der Norm ausgeführt:

„Durch dieses Erfordernis soll verhindert werden, dass mittellose Verbände eigene wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen. Es trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung, die eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung nur dann besitzen, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen […].“

Kriterium der Allgemeininteressen

Zu dem Kriterium der Allgemeininteressen wurde festgestellt:

„Ein allgemeines Interesse im Sinne dieser Vorschrift kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen […] in Mitleidenschaft gezogen würde, die Vereinigung gehindert würde, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, oder wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht.“

Zentral kommt es hier also nicht auf eine formale, rechtliche, sondern eher eine tatsächliche, wirtschaftliche Betrachtungsweise an. Dies deckt sich insoweit mit den Grundsätzen über das Vermögen, das bei der Bestimmung der PKH-Bedürftigkeit in Betracht kommt.

Drohende Unmöglichkeit der Befriedigung einer Vielzahl von Kleingläubigern

Eine weitere Fallgruppe, die der BGH nennt, ist die drohende Unmöglichkeit der Befriedigung einer Vielzahl von Kleingläubigern.

Maßgebliches Kriterium scheint demnach die Anzahl der Betroffenen zu sein. Die Schwere der Betroffenheit im Einzelfall ist demgegenüber wenig erheblich. Diese Erwägungen decken sich auch mit einem älteren BGH-Beschluss vom 05.11.1985 (Az. X ZR 23/85), in dem ausgeführt wird:

„Die Klägerin hat nichts dafür dargetan, daß sie eine größere Zahl von Zulieferunternehmen herangezogen hat und daß diese in einem Maße von ihr abhängig sind, daß auch sie durch die Entscheidung in dem vorliegenden Rechtsstreit wirtschaftlich beeinträchtigt werden. Die Höhe des angegebenen Jahresumsatzes der Kl. von 400000 DM gibt dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte.“

Der aktuelle BGH-Beschluss, Az. III ZA 10/20, greift diese Rechtsprechung wieder auf und stellt insbesondere heraus, dass die Anzahl der mittelbar wirtschaftlich betroffenen Personen zentrales Kriterium ist. Die Überlegung dahinter ist die, dass es sich bei der PKH um Geld der öffentlichen Hand handelt, dass dementsprechend für öffentliche Interessen verwendet werden soll. Ein Antrag auf PKH durch eine Kapitalgesellschaft wird dementsprechend nur in zwei Fällen erfolgreich sein:

  1. Die Beeinträchtigung der Prozessführung bedroht konkret die Existenz der Gesellschaft, von der zahlreiche Personen durch vertragliche, insbesondere Arbeitsverhältnisse, abhängig sind. Bei Nichtführung des Prozesses müsste der Gesellschaft die Insolvenz bevorstehen, in der die Bedienung aller Drittverbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet werden kann.
  2. Der konkrete Streitgegenstand entfaltet unmittelbare wirtschaftliche Wirkung auf eine große Anzahl Dritter.

Umgehungsverbot

Abschließend soll noch das Umgehungsverbot für diese Kriterien erwähnt werden, dass der Bundesfinanzhof in einem Beschluss vom 11.08.2010 (Az. V S 11/10) betont hat:

„Lagen in den Fällen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH für die juristische Person oder die parteifähige Vereinigung nicht vor, kann diese nicht dadurch erreicht werden, dass die Anteile unentgeltlich auf eine natürliche Person übertragen werden […].“

Demnach kann sich die Gesellschaft den strengen Voraussetzungen für die PKH, insbesondere der Prüfung der Bedürftigkeit aller Gesellschafter, nicht dadurch entziehen, dass ein Gesellschafter alle Gesellschaftsanteile übernimmt und somit als einziger „wirtschaftlich Beteiligter“ an der Gesellschaft seine Bedürftigkeit hinsichtlich der PKH darlegen muss.

Fazit

Juristische Personen können nur dann PKH beantragen, wenn ihr Rechtsschutzbedürfnis sich mittelbar auf die Allgemeinheit erstreckt, da sie dem BGH zufolge nur dann eine Daseinsberechtigung haben, wenn sie den Zweck, der ihrer Gründung zugrunde liegt, aus eigener Kraft verwirklichen können. Diese Erwägung rechtfertigt die Differenzierung; § 116 ZPO mit seinen strengen Voraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes mit dem Grundgesetz vereinbar.