BAG: Kein Mitbestimmungsrecht von Arbeitgeber und Betriebsrat bei gewerkschaftlichen Aktionen

Der Fall

In einer Klinik war es am „Internationalen Tag der Pflege“ im Mai 2017 zu einem Konflikt zwischen gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern und der Unternehmensführung gekommen. Der Grund dafür? Ein Informationsstand auf dem Klinikgelände, an dem die Gewerkschaft auf den Fachkräftemangel aufmerksam machen wollte und der ihr vom Arbeitgeber zukünftig untersagt wurde. Um der Gewerkschaft zu helfen, schritt der Betriebsrat ein. Dieser machte geltend, die Anordnung der Pflegedienstleitung sei als eine das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Die Betriebsparteien seien befugt, die nähere Ausgestaltung vergleichbarer Aktionen von gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern im Betrieb zu regeln.

Die Entscheidung

Nachdem die ersten Instanzen die Klage abgewiesen hatten, befasste sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28.07.2020 (Az.: 1 ABR 41/18) mit dem Fall und verneinte sowohl ein wie auch immer ausgestaltetes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates als auch ein Regelungsrecht des Arbeitgebers. Bei seiner Begründung berief sich das Gericht direkt auf Art. 9 Abs. 3 GG.


Art. 9 Abs. 3 GG schützt das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Dazu führte das Gericht aus, diese Gewährleistung beziehe sich auch auf das Recht, als einzelnes Mitglied einer Vereinigung aktiv an der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionstätigkeit teilzunehmen. Wer sich darum bemühe, die eigene Vereinigung durch Mitgliederzuwachs zu stärken, indem er andere zum Beitritt zu gewinnen versuche, nehme das Grundrecht der Koalitionsfreiheit wahr. Gleiches gelte auch, wenn er Dritte über die auf die Erreichung des Koalitionszwecks in Form einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerichteten Tätigkeiten der Vereinigung informiere und dadurch deren Aktivitäten unterstützt.

Praktische Konkordanz

Das Bundesarbeitsgericht führte weiterhin aus, kollidiere die gewählte Art und Weise der Mitgliederwerbung und der Information Dritter mit Rechtspositionen des Arbeitgebers aus Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, sei es Sache der Gerichte, diese kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Doch was muss man unter dem Begriff verstehen?


Das Prinzip der praktischen Konkordanz besagt, dass in den Fällen, in denen gleichrangige Verfassungsnormen miteinander kollidieren, diese unter Rücksicht aufeinander so in einen Ausgleich gebracht werden müssen, dass beide Verfassungsnormen jeweils maximal zur Geltung kommen.

Fazit

Mit dem Urteil hat es das Bundesarbeitsgericht geschafft, das Arbeitsrecht wieder ein Stückweit unvorhersehbarer zu machen. Durch die im Rahmen der praktischen Konkordanz immer erforderliche umfassende Einzelfallabwägung aller betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Güter wird man wohl nur in wenigen Fällen klar vorhersagen können, ob sich das Verbot einer derartigen Tätigkeit gerichtlich halten lassen wird.