Die Kaufmännische Rügeobliegenheit nach § 377 HGB verpflichtet einen Kaufmann, der Waren von einem anderen Kaufmann erwirbt, diese unverzüglich zu untersuchen und dem Verkäufer Mitteilung über die Sachmängel der Kaufsache zu machen. Tut er dies nicht, verliert er seine Gewährleistungsrechte. Stellt sich also später die Mangelhaftigkeit der Sache heraus, kann er den Verkäufer nicht auf Nacherfüllung oder Schadensersatz in Anspruch nehmen.
Anzuwenden ist diese Vorschrift dann, wenn ein Kaufvertrag zwischen zwei Kaufleuten vorliegt. Im Einzelfall kann es streitig sein, ob
a) Eine Vertragspartei Kaufmann ist und
b) Ob ein Kaufvertrag vorliegt.
Zudem stellt sich die Frage nach der Rügeobliegenheit, wenn diejenige Partei, die eine Sache erwirbt, diese gar nicht selbst geliefert bekommt, sondern mit dem Verkäufer die direkte Lieferung an einen Endabnehmer, der die Sache vom Käufer erworben hat, vereinbart wird (sogenannte Durchlieferung).
Diese drei Fragen waren auch in einem Berufungsverfahren vor dem OLG Köln streitgegenständlich:
OLG Köln 11 U 183/14
Das Urteil vom 13.04.2015 enthält in zwei dieser Fragen Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung, wobei die meisten der getroffenen Erwägungen nicht völlig neu sind, sondern sich jeweils auf vorausgehende einschlägige Rechtsprechung beziehen.
Der Sachverhalt war folgender: Der Endabnehmer, der dabei war, ein Gebäude zu errichten, hat mit dem Zwischenerwerber einen Vertrag über die Lieferung von für dieses Gebäude speziell anzufertigenden Türen geschlossen. Um seiner Lieferverpflichtung nachzukommen, hat der Zwischenerwerber die Türen von einem Verkäufer, der sie den Anforderungen gemäß herstellen sollte, erworben, und mit dem Verkäufer vereinbart, dass dieser die Türen direkt an den Endabnehmer liefern soll.
Die Türen waren jedoch nicht wie vereinbart gefertigt, was nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB einen Sachmangel darstellt. Der Zwischenerwerber ist also seiner Lieferverpflichtung nicht vertragsgemäß nachgekommen und sieht sich potenziellen Ansprüchen des Endabnehmers ausgesetzt. Er will seine Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer geltend machen. Dies geht nicht, wenn sie ihm wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit nicht mehr zustehen.
Zunächst stellte sich die Frage nach der Beweislast. Der Zwischenerwerber macht geltend, kein Kaufmann zu sein, da er nur ein Kleingewerbe nach § 1 Abs. 2 HGB betreibe. Diese Behauptung muss er allerdings beweisen, wie sich aus dem Gesetzeswortlaut herleiten lässt („es sei denn…“ bedeutet, dass der erstgenannte Fall der Normalfall sein wird). So hatte das LG in erster Instanz geurteilt (LG Köln 18 O 12/14), und so wurde es vom OLG auch bestätigt (Diese Beweislastverteilung ist allgemein anerkannt und kein Novum dieses Urteils; es ist aber besonders wichtig, sie im Hinterkopf zu behalten, sofern man potenziell betroffen ist).
Zudem ist zu fragen, ob ein Kaufvertrag vorliegt, da die Rügeobliegenheit sich auf den Kaufvertrag bezieht. Anzuwenden ist sie allerdings auch auf einen Werklieferungsvertrag, der zur Herstellung eines Werkes (wie ein Werkvertrag) und die Übereignung (wie ein Kaufvertrag) verpflichtet. Auf diese Vertragsform ist Kaufrecht anwendbar, nicht Werkvertragsrecht. Die Abgrenzung kann sich unter Umständen schwierig gestalten, zumal teilweise im Rahmen von Werkverträgen erst Materialien geliefert werden müssen, die dann vom Kunden auch erworben werden. Die Abgrenzung ist bei einem Handelsgeschäft (einem Vertrag zwischen zwei Kaufleuten) jedoch elementar wichtig, da Kaufrecht und Werkvertragsrecht dem Kunden unterschiedliche Gewährleistungsrechte zugestehen.
Die Grundsätze zur Abgrenzung gehen auf das Urteil des BGH VIII ZR 76/03 vom 03.03.2004 zurück. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung, bei der festzustellen ist, welche Vertragsform dem Parteiwillen am ehesten gerecht werden kann. Liefert ein Fliesenleger fliesen und baut sie ein, liegt der Fokus des Vertrages auf der Arbeitsleistung. Dem Kunden kommt es primär auf die Arbeitsleistung an, und auch für den Fliesenleger liegt der Schwerpunkt der Vertragserfüllung im Einbau und nicht auf der Veräußerung der Fliesen.
Im Fall, der dem OLG Köln vorlag, wollte der Endabnehmer auf sein Gebäude zugeschnittene Türen erwerben. Hierbei ging es ihm nicht primär um deren Herstellung, er wollte sie vielmehr fertig geliefert bekommen. Am Herstellungsprozess dieses Werkes im Einzelnen hatte er kein Interesse, nur am letztendlichen Vorhandensein der passenden Ware. Auch der Einbau der Türen trat dahinter zurück. Mehr noch als für den Endabnehmer gilt dies für den Zwischenerwerber, da der Zweck seines Gewerbes (in konkreten Fall) ausschließlich der Handel mit diesen Türen war.
Vergleicht man diese Fälle, stellt man zudem fest: im ersten Fall kommt es dem Kunden insbesondere darauf an, den Fliesenleger für seine besondere Fähigkeit in der Herstellung des Werkes zu bezahlen. Bei der Aushandlung der Vergütung wird somit die Abrechnung der Arbeitszeit den größeren Teil des Werklohns ausmachen, verglichen mit dem für die Herstellung des Werkes eingebrachten Material. Im zweiten Fall wird der Wert der Türen stärker durch die Sache an sich bestimmt, weniger durch die Verarbeitung. Das Wertverhältnis von Arbeitsaufwand und gelieferter Sache ist nicht das einzige Kriterium, aber doch häufig ausschlaggebend, da die Entgeltlichkeit in der Regel das zentrale Element eines synallagmatischen Vertrages ist und die Erwägungen bezüglich des Entgeltes daher maßgeblich den Parteiwillen prägen. Der Kunde überlegt sich, wofür genau er sein Geld ausgibt. Infolge dieser Erwägungen kommt man hier zu dem Ergebnis, dass ein Werklieferungsvertrag vorliegt, auf den Kaufrecht anwendbar ist.
Kurz gesagt: steht nicht die Herstellung des Werkes, sondern die Tatsache, dass das Werk am Ende erworben wird, im Vordergrund, kommt dies einem Kaufvertrag näher als einem Werkvertrag. Der Wert von Werk und Montage ist ein guter Indikator dafür, wo der Schwerpunkt eines Vertrages liegt.
Zur Dritten Frage verweist das OLG auf das Urteil des BGH VIII ZR 22/89 vom 24.01.1990. Der BGH hat sich in dieser Entscheidung bereits einmal mit einem Fall befasst, der insoweit ähnlich gelagert war. Dementsprechend gilt: wenn der erwerbende Kaufmann die Sache vor Lieferung an einen Dritten verkauft und mit dem Verkäufer vereinbart, dass die Sache direkt an den Dritten geliefert werden soll, trifft den Zwischenerwerber dennoch die Obliegenheit, Sachmängel zu rügen.
Das OLG konkretisiert in dieser Sache zwei Aspekte: zum einen ist es völlig unerheblich, ob der Endabnehmer selbst Kaufmann ist oder nicht. Für die Frage, ob ihm seine Gewährleistungsrechte zustehen, kommt es nur auf das Verhältnis von Verkäufer und Zwischenerwerber an. Die Rügeobliegenheit dient dem Schutz des Verkäufers, da dieser möglichst schnell Klarheit darüber erlangen soll, ob er Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt ist oder nicht. Es liefe den handelsrechtlichen Prinzipien zuwider, wenn diese Frage davon abhängig wäre, an wen seine Kunden die Sache weiterverkaufen – Rechtssicherheit ist hier oberstes Gebot. Die rechtliche Stellung des Verkäufers kann nicht von Drittgeschäften anderer, mit denen er sich nicht auseinandersetzen muss, abhängig gemacht werden.
Zum anderen: der Rügeobliegenheit muss der Zwischenerwerber dadurch nachkommen, dass er sich vom Endabnehmer über die Beschaffenheit der Sache informieren lässt. Verschweigt dieser böswillig Informationen, geht dies nicht zwangsläufig zulasten des Zwischenerwerbers; er hat den Mangel „unverzüglich“ zu rügen, das bedeutet: ohne schuldhaftes Zögern. Trifft ihn keinerlei Verschulden, kann er dies dem Rechtsverlust nach § 377 HGB möglicherweise entgegenhalten. Da die Vorschrift aber insbesondere der Schnelligkeit und Rechtssicherheit Dritter im Handelsverkehr dient, wird man dies nur in engen Grenzen annehmen können und zudem wird den Zwischenerwerber die Beweislast für sein fehlendes Verschulden treffen.
Darüber hinaus trägt er bei Durchlieferungsgeschäften hinsichtlich seiner Gewährleistungsrechte ein gewisses Risiko. Er ist von den Informationen seitens des Enderwerbers abhängig.