OLG München: Vorläufiger Rechtsschutz bei Ausschluss aus Handelsgesellschaft

Das Handelsregister legt die Verhältnisse von Handelsgesellschaften offen – insbesondere auch, welche Gesellschafter beteiligt sind. Eintragungen im Handelsregister begründen einen derart starken Vertrauensschutz, dass man sich in aller Regel nur auf die eingetragene Rechtslage berufen kann. Teilweise wirken Eintragungen sogar konstitutiv, das heißt, dass die wahre Rechtslage von der Eintragung im Handelsregister abhängig ist und nicht umgekehrt (etwa beim Entstehen einer Handelsgesellschaft als eigenständiger juristischer Person).

Dies kann Probleme im Hinblick auf den Rechtsschutz aufwerfen, wenn für diesen eingetragene oder einzutragende Tatsachen maßgeblich sind. Das OLG München hat sich in einem Beschluss vom 18.05.2021 (Az. 7 W 718/21) mit einem solchen Fall auseinandergesetzt.

Sachverhalt

Die Antragstellerin war eine Kapitalgesellschaft, die mit einem Anteil von 12,7 % an der Antragsgegnerin, einer GmbH, beteiligt gewesen war. Der Geschäftsführer der Antragsgegnerin war zugleich Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragstellerin.

Am 23.03.2021 stimmte die Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin für die Einziehung der Geschäftsanteile der Antragstellerin. Die Gesellschafter beriefen sich dabei auf Ziffer 20.3 der Gesellschaftssatzung, nach der die Einziehung von Anteilen ohne Zustimmung des Gesellschafters aus einem wichtigen, in dessen Person oder Verhalten liegenden Grund möglich ist. Im Gegenzug wird eine Abfindung in Höhe des Nennwertes der Geschäftsanteile zugunsten des ausgeschlossenen Gesellschafters geschuldet.

Der Geschäftsführer hatte im Juli 2020 die Mitteilung erhalten, dass die Gesellschafterversammlung ihn nicht mehr für fachlich qualifiziert halte und daher seine Abberufung im Raum stehe. Er sicherte daraufhin sensible Dateien, auf die er in seiner Funktion als Geschäftsführer Zugriff hatte, auf eigenen Speichermedien. Am 05.08. wurde der Zugriff auf jene Dateien für ihn technisch gesperrt, am 11.08. erfolgte seine Abberufung als Geschäftsführer der Antragsgegnerin. Am 25.08.2020 gab er der Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin schließlich die Dateien wieder heraus. Er behielt lediglich die Dokumente (etwa Protokolle) ein, die der gesellschaftsrechtlichen Beweisführung über die Vorgänge dienlich waren.

Der Geschäftsführer beantragte für die Antragstellerin eine einstweilige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO, um die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie als Gesellschafterin zu behandeln, sowie die Einreichung der neuen Gesellschafterliste zum Handelsregister zu unterlassen. In der Hauptsache beanstandete er den Einziehungsbeschluss als rechtswidrig. Das LG wies seinen Antrag ab, auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hin wurde die Sache schließlich dem OLG vorgelegt.

Behauptete Rechtswidrigkeit der Einziehung

Um mit einem solchen Antrag Erfolg zu haben, musste der Geschäftsführer der Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Ein Anordnungsanspruch liegt dann vor, wenn die Hauptsacheklage bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg hat, ein Anordnungsgrund dann, wenn ohne die Verfügung ein nachhaltiger unzumutbarer Rechtsverlust drohen würde. Der Anordnungsgrund lag darin, dass die Antragstellerin bei Verlust der Gesellschafterstellung ihr Stimmrecht verloren hätte. Somit hätte sie im fraglichen Zeitraum des Hauptsacheprozesses keinerlei Kontrolle über die Gesellschaft gehabt. Würde sich im Hauptsacheprozess herausstellen, dass sie recht gehabt hatte, würde dies eine unzumutbare nicht mehr rückgängig zu machende Einschränkung ihrer Rechte darstellen.

Es kam also auf den Anordnungsanspruch an. Die Gesellschafterversammlung berief sich auf das Verhalten des Antragstellers als Grund für die Einziehung. Nach der Sicherung von Firmendateien, auf die ihm kein Zugriffsrecht mehr zustehen sollte, sei die Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführer – und somit mit der Gesellschaft, die er allein kontrollierte, nicht mehr zumutbar. Dies hing gerade auch mit der Sensibilität der Daten zusammen. Die Daten waren gerade in einer Art und Weise gespeichert gewesen, die ihre Geheimhaltung zum Zwecke des Wohls der Gesellschaft sicherstellen sollte.

Grundsätzlich ist an dieser Stelle zu differenzieren, da der Geschäftsführer hier in zwei Funktionen auftritt. Zum einen als Geschäftsführer der Antragsgegnerin, zum anderen als Alleininhaber und -vertreter der Antragstellerin. Fraglich ist, ob das vertrauensschädigende Verhalten nur seine Abberufung als Geschäftsführer, oder gleichzeitig auch den Ausschluss seiner Gesellschaft als Gesellschafterin der Antragsgegnerin rechtfertigt.

Treuepflicht von Geschäftsführern und Gesellschaftern

Grundsätzlich gilt nach § 38 Abs. 1 GmbHG: Ein Geschäftsführer kann ohne Begründung jederzeit durch die Gesellschafterversammlung abberufen werden. Soweit die Satzung nicht eindeutig höhere Hürden schafft, stand die Abberufung als Geschäftsführer der Antragsgegnerin also jederzeit frei.

Der BGH verwies an dieser Stelle auf ein Urteil des OLG Dresden (Az. 2 U 596/98), das bereits einmal über den Fall zu entscheiden hatte, dass bei einer Abberufung als Geschäftsführer auch die Einziehung der Geschäftsanteile erfolgen sollte. Auch hier stützte sich die Gesellschaft auf treuwidriges Verhalten der Gesellschafterin, die ihre Position als Geschäftsführerin missbraucht haben soll, indem sie nach Abberufung noch für die Gesellschaft auftrat. Als entscheidendes Kriterium galt hier das schutzwürdige Vertrauen der Geschäftsführerin: konnte sie auf den Erhalt ihrer Geschäftsführungsbefugnis vertrauen, lag in dem fortgesetzten Vertreten der Gesellschaft keine Treuepflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft, die eine Einziehung aus wichtigem Grund rechtfertigte.

Im vorliegenden Fall wusste der Geschäftsführer, dass seine (berechtigte, § 38 GmbHG) Abberufung im Raum stand, und hatte sich sensible Daten gesichert, auf die er nur als Geschäftsführer hatte zugreifen sollen. Es war nach Ansicht der Antragsgegnerin nicht davon auszugehen, dass er als Gesellschafter konsequent das Geschäftsgeheimnis der Antragsgegnerin achten würde. Im vorliegenden Fall machte es auch keinen Unterschied, dass nicht er selbst, sondern eine zu 100 % von ihm gehaltene Kapitalgesellschaft Adressatin des Ausschließungsbeschlusses war, da es hier auf die Sicht der Antragsgegnerin und die verhältnismäßige Wahrung ihrer Interessen ankommt.

Insofern wäre ein Ausschluss in dieser Konstellation prinzipiell denkbar. Fraglich blieb nur, ob das Verhalten des Geschäftsführers tatsächlich in der Art und Weise treuepflichtwidrig war, dass ein wichtiger Grund für den Ausschluss vorlag. Bei der Beurteilung, ob ein solcher Grund vorliegt, ist auf eine Gesamtschau der pflichtwidrigen Verhaltensweisen abzustellen, wie sich aus ständiger BGH-Rechtsprechung (seit BGH II ZR 22/59 vom 25.01.1960) ergibt. Auf dieser Basis ist eine Interessenabwägung zwischen den durch Pflichtverletzungen beeinträchtigten Interessen der Gesellschaft und dem Erhaltungsinteresse des Gesellschafters an seinem Geschäftsanteil vorzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass die Firmendaten die ausschließliche Zugriffssphäre des Geschäftsführers nie verlassen und er sie zudem auch wieder (weitgehen) herausgegeben hatte, hatte das OLG Zweifel, ob die Schwelle zum wichtigen Grund tatsächlich überschritten war.

Zeitablauf als Hinderungsgrund

Ein weiterer interessanter Aspekt, zu dem der Beschluss Ausführungen trifft, ist der Aspekt des Zeitablaufes. Das OLG betonte, dass bei einem Einzug auf Grundlage einer Satzungsklausel diese eine eigene Rechtsgrundlage darstelle. Insofern sei der Einwand des Beklagten nicht tragfähig, dass die Einziehungsfrist nach § 626 BGB abgelaufen sei. § 626 BGB stellt die Rechtsgrundlage für die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund dar. Ist die Fortsetzung des Schuldverhältnisses für eine Partei nicht mehr zumutbar, hat sie innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung der entsprechenden Umstände die Kündigung zu erklären. Danach genießt die andere Partei wieder dahingehend Vertrauensschutz, dass das Schuldverhältnis fortgesetzt wird.

Die Satzungsregelung ist allerdings eine eigenständige Rechtsgrundlage, die nicht auf § 626 BGB beruht. Somit ist auch dessen Fristgebundenheit nicht übertragbar; eine Ausübungsfrist müsste ihrerseits in der Satzung festgelegt werden.

In der Gesellschaftssatzung war keine Frist zur Ausübung des Einziehungsrechtes festgelegt. Die seit Kenntniserlangung verstrichene Zeit ist aber dennoch nicht unerheblich. Sie spielt nämlich bei der Beurteilung der Frage eine Rolle, ob ein wichtiger Grund für die Einziehung vorliegt. Denn dem OLG zufolge verschieben sich die Interessen mit verstreichender Zeit: das Schutzinteresse der Antragsgegnerin erscheint weniger gewichtig, wenn sie nach Kenntniserlangung längere Zeit nicht oder nur verhalten tätig wird. Im Gegenzug wird die Antragstellerin zunehmend schutzwürdiger, da sie Vertrauen in den status quo gewinnt. Wie bei § 626 BGB spielt hier also der Aspekt des Vertrauensschutzes eine gewichtige Rolle: liegt ein Verhalten vor, dass eine Einziehung rechtfertigen würde, und bleibt die Gesellschaft dennoch länger untätig, so kann der auszuschließende Gesellschafter darauf vertrauen, dass die Verhältnisse in der Gesellschaft unverändert bleiben.

Das OLG schloss aus solchen Erwägungen raus, dass ein wichtiger Grund, auch wenn er tatsächlich vorliegt, mit verstreichender Zeit an Gewicht verliert. Bleibt die Gesellschaft nach Kenntniserlangung vom streitgegenständlichen Verhalten länger untätig, kann sie sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr auf diesen Grund berufen. Aus diesem Grund gab es der Beschwerde des Geschäftsführers schließlich statt.

Fazit

Ein Missbrauch der Stellung des Geschäftsführers kann einen wichtigen Grund darstellen, der auch zur Einziehung seiner Geschäftsanteile führen kann. Entscheidend ist eine Gesamtschau der Umstände und eine Abwägung der Interessen im Hinblick auf die Frage, ob der Verbleib der betreffenden Person in der Gesellschaft insgesamt unzumutbar ist. Selbst wenn ein wichtiger Grund gegeben ist, verliert dieser mit der Zeit allerdings an Gewicht, da das Vertrauen des Gesellschafters in den status quo zunehmend schutzwürdiger wird. § 626 Abs. 1 BGB findet allerdings keine Anwendung, da die Einziehung von Geschäftsanteilen auf einer eigenständigen spezielleren Rechtsgrundlage steht.