Besteht ein Rahmenvertrag, der ein Dauerschuldverhältnis zwischen zwei Parteien betrifft, dient dieser oft als Grundlage für einseitige Gebührenerhöhungen. Ein klassisches Beispiel ist das Bankkonto, das auf einem sogenannten Zahlungsdienstleistungsrahmenvertrag beruht, der nach § 675g BGB unter weniger strengen Voraussetzungen geändert werden kann, als dies im Allgemeinen bei Verträgen der Fall ist. Inwieweit § 675g BGB aber tatsächlich den allgemeinen Regeln und Grundsätzen der AGB-Kontrolle vorgeht, hat der BGH in einem Urteil vom 27.04.2021 (Az. XI ZR 26/20) klargestellt.
Sachverhalt
Verbraucherverbände (klagebefugt nach § 4 UKlaG) hatten vor dem LG Köln gegen eine Bank geklagt, die ihrer Ansicht nach rechtswidrig verschiedene Gebühren im Zusammenhang mit der Kontoführung erhöht hatte. Die Verbände hatten von der Beklagten verlangt, die Verwendung der Klauseln zu unterlassen, sich nicht mehr auf sie zu berufen, sowie Abmahngebühren zu zahlen. Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG die klägerseitige Berufung zurückgewiesen. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verurteilte die Beklagte antragsgemäß.
Die Beklagte hatte in einem Zahlungsdienstleistungsrahmenvertrag, auf dem angebotene Konten beruhten, folgende streitgegenständliche Bestimmungen getroffen:
- Änderungen des Rahmenvertrages werden dem Kunden zwei Monate vor Wirksamkeit in Textform mitgeteilt
- Der Kunde kann ausdrücklich widersprechen und den Vertrag kündigen; schweigt er aber, wird der Vertrag in der neuen Form wirksam.
Mittels dieser Änderungsklauseln waren unter anderem Gebührenerhöhungen für Kontoführung und die Tätigung von Überweisungen in eine unbestimmte Anzahl an Verträgen eingeführt worden. Die Beklagte stützte sich hierbei auf § 675g BGB. § 675g Abs. 2 BGB eröffnet dabei die Möglichkeit, beim Schweigen des Bankkunden auf eine rechtzeitig mitgeteilte Änderung des Zahlungsdienstleistungsrahmenvertrages hin von dessen Zustimmung auszugehen (Zustimmungsfiktion).
Der Kläger wendete hiergegen ein, die neu eingeführten Klauseln seien per se nach den Regeln über die AGB-Kontrolle unwirksam. Der BGH teilte diese Auffassung.
Zahlungsdiensterahmenverträge im Europarecht
Streitgegenständlich war die Frage, ob die neu eingeführten Klauseln den Regeln über die AGB-Kontrolle genügen müssen, und ob sie dies in konkreten Fall taten. Im deutschen Recht gilt prinzipiell der Grundsatz lex specialis derogat legi generali, das heißt, ein spezielleres Gesetz verdrängt ein allgemeineres, wenn beide anwendbar wären. Es ist allerdings fraglich, ob § 675g BGB und §§ 307, 308 BGB in der Art und Weise dieselbe Stoßrichtung haben, dass hier von einem Spezialitätsverhältnis der Normen gesprochen werden kann. Grundsätzlich sind die Normen nämlich nebeneinander anwendbar: § 675g BGB regelt die Einführung neuer Klauseln in den Vertrag, nicht aber ihren Inhalt. Es liegt also nahe, den Inhalt an §§ 307, 308 BGB zu messen, sofern es sich bei den Klauseln um AGB im Sinne von § 305 BGB handelt.
Im Falle von Zahlungsdiensterahmenverträgen stellt sich diese Frage aber gar nicht, da der EuGH sie bereits ausgeräumt hat.
§ 675g BGB dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2366, insbesondere Art. 54 der Richtlinie. Diese lässt die Zustimmungsfiktion bei Mitteilung der Änderungen prinzipiell zu. Der EuGH hatte allerdings bereits am 25. Januar 2019 über die Auslegung der Richtlinie geurteilt (Az. C-287/19). Die Richtlinie selbst entfaltet zwar keine unmittelbare Rechtswirkung in den Mitgliedsstaaten, ihre Auslegung ist allerdings dennoch für die Auslegung der umsetzenden Gesetze maßgeblich. Der EuGH stellt fest, dass die AGB-Kontrolle nach nationalem Recht (die zumindest in Sachen Verbraucherschutz auch dem europarechtlichen Standard genügen muss) auf Zahlungsdiensterahmenverträge umfassend anzuwenden ist.
Der BGH hat dementsprechend eine AGB-Kontrolle anhand von §§ 307 ff BGB durchgeführt und ist auf folgende Probleme gestoßen:
- Die Änderungsklausel in den Bank-AGB ist zu weit gefasst. Da die Bank sämtliche Modalitäten des Rahmenvertrages ändern kann, kann sie den Vertrag effektiv vollständig umwandeln. Dies ist, so der BGH, mit den Grundgedanken des AGB-Rechtes kaum vereinbar und sprengt zudem den Anwendungsbereich des § 675g BGB, der im Grunde darauf abzielt, solche (moderaten) Änderungen zu erleichtern, die spezifisch wegen Änderungen am Finanzmarkt erforderlich sind.
- Da die Klausel zu weit reicht, greift auch das Verbot einer geltungserhaltendenden Reduktion: der Verwender der AGB soll auch ihr Risiko tragen; ist eine Klausel rechtswidrig, wird sie nicht mit reduziertem Anwendungsbereich beibehalten. Somit ist effektiv keine Änderungsklausel Bestandteil des Vertrages geworden.
- Zudem ist eine Änderung der Kosten für die vertraglichen Leistungen ohne Beschränkungen eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB dar. Die Bank kann Kosten nur in einem vorab klar abgesteckten Rahmen, der mit Treu und Glauben vereinbar ist, anpassen. Auch hier gilt: die zu weite Klausel wird nicht geltungserhaltend reduziert. Die Bank hat also keine Grundlage für die Anspassung der Kosten.
Fazit
Die Zustimmungsfiktion nach § 675g Abs. 2 BGB eröffnet keineswegs die Möglichkeit einseitiger Änderungen eines Zahlungsdiensterahmenvertrages durch die Bank. Sowohl die Änderungsklauseln im Vertrag, als auch die geänderten Bestimmungen, die neu eingeführt werden, müssen der regulären AGB-Kontrolle standhalten. Zudem ist der Zweck des § 675g BGB stets in Erwägung zu ziehen: die Zustimmungsfiktion soll der Bank die Möglichkeit geben, kurzfristig adäquat auf das Marktgeschehen zu reagieren; keineswegs soll sie daraus mehr Vorteile ziehen können, als sie es aus jedem anderen Vertrag könnte.