LG Frankfurt a. M.: Zur Beschlussanfechtung nach einer virtuellen Hauptversammlung

Der Aufsichtsrat einer AG kann insbesondere dann in Konflikt mit Vorstand oder Aktionären geraten, wenn es um die Rechtmäßigkeit der Durchführung einer Hauptversammlung sowie der Beschlussfassung geht. Die Corona-Pandemie hat in diesem Zusammenhang zahlreiche weitere Fragen aufgeworfen. Schwerpunktmäßig hing dies damit zusammen, dass die Durchführung von Hauptversammlungen in Präsenz zeitweise unmöglich war und somit das grundlegende Konzept der Hauptversammlung und der Aktionärsrechte infrage gestellt wurde. Mit einigen Streitpunkten in diesem Zusammenhang hat sich das LG Frankfurt a. M. in einem Urteil vom 23.02.2021 (Az. 3-05 O 64/20) auseinandergesetzt.

Sachverhalt

Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft, hatte am 20.05.2020 ihre ordentliche Hauptversammlung abgehalten. Die Ladung zu dieser war am 09.04.2020 regulär über den Bundesanzeiger ergangen. Im Rahmen der Hauptversammlung wurden jeweils durch Beschluss einzeln die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates entlastet, sowie ein neues Aufsichtsratsmitglied gewählt.

Gegen mehrere Beschlüsse, darunter jenem über die Wahl des Aufsichtsratsmitgliedes, sowie mehrere Entlastungsbeschlüsse, erhoben Aktionäre der Beklagten Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage vor dem LG.

Streitgegenständlich waren im Hinblick auf die Corona-bedingte Ausnahmesituation insbesondere folgenden Punkte:

  1. Die Protokollierungspflicht: Das Protokoll zur virtuellen Hauptversammlung war vom zuständigen Notar erst sechs Tage nach Durchführung unterzeichnet worden. Hierin sahen die Kläger einen Verstoß gegen § 130 AktG, der nach § 241 Nr. 2 AktG zur Nichtigkeit aller Beschlüsse führen müsse.
  2. Die Art der Durchführung der Hauptversammlung: Die Kläger betrachteten die virtuelle Hauptversammlung mit den entsprechend modifizierten Antrags- und Fragerechten für Aktionäre als mit dem Wesen der AG unvereinbar. Dies müsse demnach zur Nichtigkeit aller Beschlüsse nach § 241 Nr. 3 AktG führen.
  3. Insbesondere würden durch das eingeschränkte Fragerecht (Fragen mussten bis zum 17.05. schriftlich eingereicht werden) Aktionärsrechte unterlaufen, die ihnen nach der europäischen Aktionärsrechte-Richtlinie zustehen müssen. Die Beschlüsse würden mithin gegen das Gesetz verstoßen, was eine Anfechtung nach § 243 Abs. 1 AktG begründe.

Das LG hat die Klage umfassend zurückgewiesen. Die dargelegten Gründe begründen demnach weder eine Nichtigkeit noch eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse.

Rechtslage unter dem COVMG

Anhand der Begründung des abweisenden Urteils lassen sich einige interessante Aspekte aufzeigen, die spezifisch die Rechtslage rund um die virtuelle Hauptversammlung prägen.

Allgemeiner führte das Gericht zunächst im Hinblick auf das Versammlungsprotokoll aus, dass die spätere Unterzeichnung des notariellen Protokolls keinen Nichtigkeitsgrund darstelle. Die Anforderungen an ein notarielles Protokoll leiten sich im Wesentlichen aus § 37 BeurkG her. Im § 37 Abs. 2 BeurkG sind ausdrücklich zwei verschiedene Zeitpunkte erwähnt: zum einen der Ort und Tag der Wahrnehmung, also der Tag, an dem der Notar der Hauptversammlung tatsächlich beiwohnte, zum anderen der Ort und Tag der Errichtung der Urkunde. Die Urkunde wird mit der notariellen Unterschrift bzw. seinem Siegel formgültig errichtet. Die Erwähnung zweier verschiedener Tage im Gesetz lässt bereits den Schluss zu, dass diese nicht zwangsläufig identisch sein müssen, solange dem Zweck der Urkunde (authentische Protokollierung durch den Notar als öffentliche Stelle) genüge getan wird. Eine spätere Unterzeichnung steht diesem grundsätzlich nicht entgegen. Das LG verwies im Urteil darauf, dass dies auch der ständigen Rechtsprechung entspreche.

Es verblieb nun die Frage, ob das modifizierte Frage- und Antragsrecht (Einreichung vor der Hauptversammlung) mit dem Wesen der AG unvereinbar war. Hierzu stellte das Gericht zunächst fest, dass sich das „Wesen der AG“ grundsätzlich aus dem Aktiengesetz ergebe. Jegliche Änderung durch formelles Gesetz, auch eine solche vorübergehender Natur, prägt allerdings das Wesen der AG mit. Für virtuelle Hauptversammlungen gelten grundsätzlich § 118 Abs. 1 S. 2, 3 AktG, die allerdings durch § 1 Abs. 7 COVMG für die Dauer der Corona-Pandemie modifiziert werden. Das Gesetz erleichtert die Durchführung virtueller Hauptversammlungen dahingehend, dass dem Vorstand weitergehendes Ermessen im Hinblick auf die Modalitäten der Rechtsausübung eingeräumt werden. Zudem werden Pflichten wie die Mitteilungspflicht aus § 125 AktG durch § 1 Abs. 7 COVMG entschärft; mit technischen Umständen einhergehende Beschränkungen der Aktionärsrechte machen einen Beschluss nur dann anfechtbar, wenn die Verantwortlichen in der Gesellschaft dies (zumindest bedingt) vorsätzlich herbeigeführt haben. Wenn durch § 1 Abs. 7 COVMG allerdings die Anfechtbarkeit nach § 243 AktG eingeschränkt wird, muss dies dem Zweck des Gesetzes nach allerdings auch für die Nichtigkeitsgründe nach § 241 AktG gelten. Die Erleichterungen im Hinblick auf die virtuelle Hauptversammlung würden sonst unterlaufen. Es ist nicht denkbar, dass eine direkt auf das Gesetz gestützte Modifikation der Aktionärsrechte dem Wesen der AG zuwiderläuft. Aus diesen Erwägungen heraus wies das LG auch das Vorbringen der Kläger zurück, die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse seien nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig.

Das dritte Vorbringen der Kläger, das hier kurz beleuchtet werden soll, stützte sich auf die Aktionärsrechte-Richtlinie der Europäischen Union. Auch wenn die Modifikationen der Aktionärsrechte mit der deutschen Rechtslage in Einklang stehen, ist es denkbar, dass diese Maßnahmen seitens der Gesellschaft gegen Europarecht verstoßen. Zudem könnte in diesem Fall sogar erwogen werden, das COVMG insgesamt als europarechtswidrig und somit kraft Geltungsvorranges als unwirksam zu betrachten. Damit wäre auch der vorangegangene Nichtigkeitsgrund nicht mehr entkräftet, da das unwirksame COVMG nicht mehr das Wesen der AG modifizieren würde. Das LG trat auch diesem Vorbringen allerdings entgegen.

Zentraler Streitgegenstand war Art. 9 der Aktionärsrechte-Richtlinie, nach welchem den Aktionären ein Auskunftsrecht in den Angelegenheiten der Gesellschaft einzuräumen ist. Diese Vorschrift sahen die Kläger als verletzt an. Hiergegen wendete das Gericht ein:

  1. Eine Unwirksamkeit des COVMG kraft Geltungsvorranges kommt a priori nicht in Betracht, da es sich um eine Richtlinie, nicht um eine Verordnung handelt. Unmittelbare Rechtswirkung entfaltet allerdings nur eine europäische Verordnung, Richtlinien verpflichten lediglich die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zur Anpassung des nationalen Rechtes. Die direkte Unwirksamkeit nationalen Rechtes kraft Geltungsvorranges einer Richtlinie kann sich nur in Extremfällen ergeben, grundsätzlich bindet eine Richtlinie keine privaten Rechtssubjekte.
  2. Die Umsetzung der Richtlinie ist mit § 131 AktG erfolgt; vor diesem beansprucht das COVMG während seiner Dauer (befristet konzipiert, §§ 7, 8 COVMG) allerdings Anwendungsvorrang. Somit hat das COVMG weiterhin volle Gültigkeit, seine Ausnahmevorschriften gelten.

Neben dem Auskunftsrecht war zudem eine Modifikation des Antragsrechtes streitig. Fraglich ist, ob das COVMG in unzulässiger Art und Weise das Gegenantrags- bzw. Wahlvorschlagsrecht der Aktionäre untergräbt bzw. gefährdet. Die Beklagte hatte allerdings die Möglichkeit zur Einreichung entsprechender Vorschläge gemäß §§ 126, 127 AktG. Bei Entscheidungserheblichkeit dieser Frage wäre das LG zu einer Vorlage der Frage zum EuGH verpflichtet gewesen (Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union, AEUV), der über die Europarechtskonformität des COVMG hätte entscheiden müssen; da hier allerdings keine auf dem COVMG beruhende Modifikation angewendet worden war, konnte die Frage offenbleiben.

Fazit

Die Unwirksamkeit aller Beschlüsse auf einer Hauptversammlung kann für Vorstand und Aufsichtsrat ein beträchtliches Ärgernis sein, da es unter Umständen um ihre Wahl oder Entlastung geht. Das Urteil zeigt allerdings, dass der Gesetzgeber mit dem COVMG eine wirksame, effektive Erleichterung bei der herausfordernden Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung geschaffen hat. Bei aller Erleichterung durch das COVMG muss dennoch trennscharf im Auge behalten werden, wann Aktionärsrechte tatsächlich in (europa-)rechtswidriger Weise eingeschränkt sind und wann nicht.

Dieser Beitrag ist urprünglich erschienen auf dem Blog der Director’s Academy.