BMJV: Referentenentwurf zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten

Kriminelle Handlungen von Unternehmen als solchen können nicht strafrechtlich geahndet werden. Nach dem deutschen Strafrecht können nur natürliche Personen verfolgt werden; begehen diese aus ihrer Funktion in einem Unternehmen heraus Straftaten, gestaltet sich der Nachweis der Zurechenbarkeit häufig schwierig. Gegen Unternehmen und andere Personenverbände kann nur ein Bußgeld nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten verhängt werden, dessen Betrag zudem pauschal gedeckelt ist.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat einen Referentenentwurf (Stand: 20.04.2020) zur Schaffung des Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG) vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, Personenverbände (nicht ausschließlich eigenständige juristische Personen) strafrechtlich für rechtswidriges Verhalten verfolgen zu können und Anreize für Unternehmen zu schaffen, in Compliance zu investieren.

Inhalt des Gesetzes

Dieses Ziel soll im Wesentlichen durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  1. Gegen Personenverbände sollen Strafprozesse geführt und sogenannte Verbandsgelder verhängt werden können. Diese sollen, vergleichbar der Geldstrafe für natürliche Personen, am Umsatz bemessen werden, um Verbände unabhängig von ihrer Größe im gleichen Maße sanktionieren zu können. Verband in diesem Sinne sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E alle juristischen Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften.
  2. Verbandstaten sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E Straftaten, die unter Verletzung der spezifisch dem Verband obliegenden Pflichten oder unter Bereicherung des Verbandes begangen werden. Das StGB, die StPO und das GVG werden dahingehend geändert, dass die Straftaten (insbesondere Vermögensdelikte) und der Strafprozess dem speziellen Charakter des Verfahrens gegen den Verband gerecht werden.
  3. Die Verlegung der Sanktionsnormen gegen Verbände aus dem Ordnungswidrigkeiten- ins Strafrecht hat insbesondere die Konsequenz, dass hier das Legalitätsprinzip gilt: die Staatsanwaltschaft muss einschreiten, sie hat, anders als die Ordnungsbehörden bei Ordnungswidrigkeiten, grundsätzlich keinen Spielraum für Entschließungsermessen. Allerdings stellt § 35 Abs. 1 VerSanG-E klar, dass die Möglichkeit der Einstellung nach § 153 StPO unberührt bleiben soll, soweit sie mit der Geringfügigkeit der Auswirkungen der Tat zu begründen ist.
  4. Die Verantwortlichkeit des Verbandes geht nach § 7 VerSanG-E auf dessen Rechtsnachfolger über, wenn der Verband nach Einleitung des Verfahrens aufgelöst wird. Außerdem können die mit dem angeklagten Verband konzernierten (bzw. allgemein „wirtschaftlich verbundenen“) Gesellschaften haftbar gemacht werden, wenn die Geldstrafe gegen den Verband nicht vollstreckt werden kann (weil dieser vermögenslos ist).
  5. Das Bundesamt für Justiz soll ein Register über rechtskräftige Verurteilungen führen, wie es bei Straftaten natürlicher Personen auch üblich ist. Hierdurch wird die Transparenz verbessert; zudem schafft es einen weiteren Anreiz für Compliance, da ein Registereintrag die Seriosität im Geschäftsverkehr erheblich beeinträchtigen kann.
  6. Interne Untersuchungen sowie konkrete Compliance-Maßnahmen innerhalb des Verbandes können zur Einstellung des Verfahrens führen; so soll es attraktiver werden, solche Maßnahmen durchzuführen; zugleich soll die Justiz entlastet werden.

Zur Begründung wird angeführt, dass die bisherige Rechtslage unzureichend sei, um kriminelle Handlungen aus Verbänden heraus zu sanktionieren und zu unterbinden. Hingewiesen wird auf die besondere Relevanz der Sanktionierung der durch Unternehmen begangenen Straftaten, da die rechtswidrige Erlangung von Vorteilen sich nachhaltig auf die Wettbewerbssituation auswirken kann und die effektive Sanktionierung somit gerade auch Bedürfnissen der Unternehmen entgegenkomme.

Reaktionen

Der Entwurf wurde, seitdem er im Bundestag und in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, vehement kritisiert. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist etwa, dass die bisherige Sanktionierung über das OwiG ausreichend sei. Die Anwendung des Legalitätsgrundsatzes, die mit der Verlegung ins Strafrecht einher ginge, würde lediglich dazu führen, dass mehr Bagatelldelikte geahndet werden müssten. Somit relativiere sich auch die Entlastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften, die durch die Möglichkeit interner Maßnahmen und Ermittlungen herbeigeführt werden soll.

Die meistdiskutierten Fragen in der Fachwelt sind jedoch die hinsichtlich der Ausgestaltung und den Anforderungen an die internen Untersuchungen, sowie den Verteidigungsmöglichkeiten der Unternehmen.

(vorläufiges) Fazit

Das VerSanG, sollte es verabschiedet werden, stellt eine einschneidende Änderung im Wirtschaftsstrafrecht dar. Es ist kaum übertrieben, zu sagen, dass die Gesetzgebungsdebatte um den VerSanG-E eines der gewichtigsten aktuellen Themen für Unternehmer überhaupt sein dürfte, zumal die Diskussion auch in der Fachwelt sehr vehement und dynamisch geführt wird.

Auch auf dieser Seite wird uns der Entwurf, speziell im Hinblick auf die großen Streitfragen der internen Untersuchungen und der Verteidigung, nach diesem ersten kleinen Überblick noch häufiger beschäftigen.

Der Referentenentwurf ist abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=1; zuletzt abgerufen am 01.09.2020