OECD: Zwei-Säulen-Modell für globale Steuer

Das Steuerrecht kennt sowohl Fiskalzweck- als auch Sozialzwecknormen. Erstere zielen auf die Deckung des Finanzbedarfes eines Staates ab, zweitere sollen Wirtschaft und Gesellschaft entsprechend einer bestimmten politischen Intention lenken. Fiskal- und Sozialpolitik indes sind keine rein nationalen Themen, da steuerrechtlich relevante Sachverhalte gerade im wirtschaftlichen Bereich häufig grenzübergreifende Bezüge aufweisen und Staatengemeinschaften und -bündnisse nicht selten vergleichbaren gesellschaftspolitischen Ideen folgen.

Die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) bildet als ständige Konferenz von Vertretungen ihrer Mitgliedsstaaten ein wichtiges Forum für die Koordination der nationalen Steuergesetzgebung. Zu nennen ist insbesondere das von der OECD herausgegebene Musterabkommen für ein bilaterales Doppelbesteuerungsabkommen. In jüngerer Zeit war ein zentrales Thema der mit dem Steuerrecht betrauten Arbeitsgruppen der OECD der Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) Action Plan, der im Oktober 2021 mit dem gemeinsamen Beschluss des BEPS Inclusive Framework gipfelte. Erklärte Ziele dieser unverbindlichen Rahmenvereinbarung sind die Neuverteilung der Besteuerungsrechte an den Profiten großer Internetdienstleistungsunternehmen sowie eine effektive globale Mindeststeuer.

Die Erläuterungen im Artikel greifen auf die Dogmatik und Terminologie des deutschen Steuerrechtes zurück, um die Konzepte anschaulich zu machen. Die Ausgestaltung und Auslegung kann in anderen Jurisdiktionen anders aussehen; viele Aspekte werden funktional vergleichbar ablaufen, zwingend ist dies jedoch nicht.
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Hintergrund des Inclusive Framework

Im Wesentlichen haben zwei unterschiedliche Problemfelder die OECD-Staaten zum Beschluss des Inclusive Framework animiert. Ein Aspekt waren Gewinnverschiebungsmethoden zur Steuerreduktion, die von Unternehmen praktiziert werden. Dabei werden Gewinne im Sitzstaat der Konzernmutter mit Forderungen einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft in einem Staat mit niedrigeren Steuern belastet. Dies wird etwa dadurch realisiert, dass die Tochtergesellschaft Patent- und Markenrechte hält oder die Konzernmutter über hochverzinste Darlehen finanziert. Die Lizenzgebühren bzw. Zinszahlungen reduzieren als absetzbare Betriebsausgaben den steuerbaren Gewinn der Konzernmutter (Darlehen sind in der Rechnungslegung neutral, Zinsforderungen sind Betriebsausgaben). Hierdurch werden die Profite endgültig in einem Staat (Ansässigkeit der Tochtergesellschaft) mit geringeren Steuern realisiert und die effektive Steuerlast reduziert. Die OECD sah in dieser Praxis problematische Steuervermeidung. Zudem begünstige sie nach dieser Ansicht einen Unterbietungswettbewerb der Staaten hinsichtlich der Steuern für Körperschaften oder für Einkommen aus geistigem Eigentum.

Das andere wesentliche Problemfeld war die Verteilung der Besteuerungsrechte an Gewinnen rein digital tätiger Unternehmen. Die klassischen Dogmatiken und Konzepte des Steuerrechtes stießen hier an ihre Grenzen. Anknüpfungspunkt für das Recht zur Erhebung der Körperschaftssteuer ist grundsätzlich der Sitz einer Gesellschaft. Der Sitz bezeichnet normalerweise den öffentlich registrierten Gesellschaftssitz; die deutsche Rechtsprechung wendet die Sonderfigur des effektiven Verwaltungssitzes an, der auf den Ort wesentlicher Geschäftsleitungsentscheidungen abstellt (Selbstverständlich nur für im Ausland registrierte Unternehmen; für in Deutschland registrierte Unternehmen gilt die klassische Sitztheorie, um Deutschland maximale Besteuerungsrechte, auch auf Kosten anderer Volkswirtschaften, zu sichern). Bei Betriebsstätten (unselbstständigen Teilbereichen des Unternehmens) im Ausland konnte auch auf diese abgestellt werden. Die Feststellung einer Betriebsstätte ist, mangels einer separaten juristischen Person, allerdings nur möglich, wenn Unternehmenssubstanz oder tatsächliche Arbeitsaktivität festzustellen war. Rein digitale Dienstleistungen erfordern weder eine Tochtergesellschaft noch eine rein tatsächliche Betriebsstätte vor Ort. Diese Konzepte folgten dem Leitbild einer analogen Wirtschaft mit Produktions- oder phyischen Leistungserbringungsstätten. Somit entsteht das Problem, dass ein einziger Staat das alleinige Besteuerungsrecht für ein global tätiges Unternehmen innehat. Die Staaten, in dem die Konsumenten der Dienstleistung ansässig sind, würden von auf ihrem Gebiet realisierten wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht profitieren.

Dies gipfelte zuletzt darin, dass einige Staaten der Europäischen Union unilateral separate Steuern für digitale Dienstleistungen erließen. Dies führte allerdings zu einer unverhältnismäßigen Mehrbelastung der betreffenden Unternehmen, die zugleich in einem Staat mit ansässigen Nutzern und am Ort ihres Unternehmenssitzes steuerpflichtig waren. Betroffen waren insbesondere US-amerikanische Unternehmen wie der Google-Anbieter Alphabet Inc. Die USA betrachteten dies als einseitigen protektionistischen Angriff und erließen Strafzölle gegenüber den betreffenden Staaten. Da letztendlich allerdings keine Partei an einem andauernden Handelskrieg interessiert war, nutzten die Parteien das Forum der OECD, um eine multilaterale Lösung zu erarbeiten. Diese wurde als Kernelement des internationalen Steuerrechtes in den Action Plan der OECD integriert. Das Inclusive Framework repräsentiert in Beschlussform die Ergebnisse des BEPS Action Plan.

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Die zwei Säulen

Das Framework adressiert zwei unterschiedliche Problemfelder, weswegen der Beschluss an sich mit einem Zwei-Säulen-Modell arbeitet. Diese sind voneinander unabhängig, da sie zum einen auf unterschiedlichen Kompetenzebenen umgesetzt werden müssen und zudem einen konzeptionell unterschiedlichen Anwendungsbereich haben. Dies drückt sich auch in unterschiedlichen wirtschaftlichen Schwellwerten bei der Anwendbarkeit aus. Säule 2 soll nach Vorstellung der OECD bereits deutlich früher (Umsatz ab 750 Millionen € pro Wirtschaftsjahr) greifen, dies hängt letztendlich aber vom nationalen Umsetzungsgesetz ab. Säule 1 adressiert Unternehmen mit einem Umsatz ab 20 Milliarden € pro Wirtschaftsjahr und einer Profitabilität ab 10 %.

Säule 1: Neuverteilung der Besteuerungsrechte

Säule 1 zielt nicht auf eine Erhöhung der Steuerbelastung, sondern auf eine neue Verteilung der Besteuerungsrechte ab. Das Besteuerungsrecht liegt, sofern keine lokalen Betriebsstätten bestehen, bisher ausschließlich beim Staat des Firmensitzes. Beispielsweise ist die Alphabet Inc. in den USA ansässig, womit sie allein der US-Amerikanischen Körperschaftssteuer (Bundes- und ggf. Staatssteuer) unterliegt. Eventuelle Profit Shifting-Maßnahmen bleiben an dieser Stelle außer Betracht, diese sind ausschließlich Gegenstand von Säule 2. Alphabet bietet Google und die zugehörigen Services weltweit an und hat in den meisten Staaten der Welt Nutzer. Davon ausgehend, dass die meisten Services über das Ausspielen individualisierter Werbeanzeigen oder über Abonnements Gewinne generieren, findet die Leistungsverwertung also am Standort der Nutzer statt. Somit fallen Besteuerungsrechte an der Werterzeugung in verschiedenen Ländern ausschließlich an die USA. Säule 1 des Framework sieht eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte anhand eines Schlüssels danach vor, welchen Anteil die einzelnen Marktstaaten an der Wertschöpfung haben.

Begriff des Marktstaates und Amount A

Als Marktstaat gilt ein Staat, in dem der betreffende Service in der Form genutzt wird, dass die Wertschöpfung bzw. Leistungsverwertung beim Nutzer selbst erfolgt. Das bedeutet: wenn ein Nutzer die Services nutzt und daraus (subjektiven) Mehrwert zieht, so findet hier die Leistungsverwertung statt. Die Gegenleistung wird vom Nutzer entweder dadurch erbracht, dass er das Ausspielen von Werbeanzeigen akzeptiert, oder auch ein Abonnement bezahlt. Beides ist an dieser Stelle äquivalent als Bezahlung zu betrachten. Im Falle der Werbeanzeigen könnte man eine Parallele zur Leistung durch einen Dritten im Sinne von § 267 BGB konstruieren. Dem Nutzer der Services steht ein Wahlrecht zu, ob er Werbeanzeigen konsumiert und somit seine Nutzung von den Werbepartnern der Alphabet Inc. finanzieren lässt, oder ob er selbst zahlt. Im Grundsatz ist also eine Wertschöpfung an seinem Standort anzunehmen. Staaten, in denen diese Form des Leistungsaustausches erfolgt, in denen also Konsumenten die betreffenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen, gelten als Marktstaaten, zwischen denen ein steuerlicher Ausgleich erfolgen soll.

Grundlage der Verteilung ist Amount A. Dieser basiert auf der Unternehmensbilanz nach den International Financial Reporting Standards (IFRS), also auf der Handelsbilanz. Die Handelsbilanz ist die Grundlage für die Erstellung der Steuerbilanz. Amount A bezeichnet den ausgewiesenen Bilanzgewinn des Konzerns vor Anwendung der Säule-1-Regeln. Amount A dient also als Grundlage für eine Verteilung nach dem Schema:

    1. In welchen Staaten wurden die Gewinne erzielt? (Marktstaaten)
    2. In welchen Marktstaaten wurde mindestens eine Million € erzielt?
    3. Falls das jährliche BIP des Staates unter 40 Millionen € liegt: wurden mindestens 250.000 € an Einnahmen erzielt?
    4. Welche Anteile hatten die Marktstaaten nach 2. und 3. am Gewinn?

Auf dieser Grundlage sieht Säule 1 einen Verteilungsschlüssel vor:

For in-scope MNEs*, 25% of residual profit defined as profit in excess of 10% of revenue will be allocated
to market jurisdictions with nexus using a revenue-based allocation key.

*Multi-National Enterprises

Offen bleibt dabei, ob die Verteilung unter den Staaten vorzunehmen ist oder ob die Marktstaaten jeweils separate Besteuerungsrechte erhalten. Letzteres würde sich zwar ins Grundkonzept der Säule 1, die Besteuerungshoheit neu zu verteilen, einfügen. Dabei würden sich allerdings zahlreiche Folgeprobleme ergeben, beginnend mit der Tatsache, dass die Handelsbilanz, die Amount A ausweist, im Staat des Unternehmenssitzes erstellt wird, bis hin zu Fragen der Vollstreckung von Steuerbescheiden. In jedem Fall ist offensichtlich, das Säule 1 erst mit Abschluss eines verbindlichen völkerrechtlichen Vertrages Effekte zeigen kann.

Ein solches Abkommen zur Umsetzung von Säule 1 soll zudem die Unterzeichnerstaaten verpflichten, die Doppelbesteuerung von Amount A zu vermeiden. Insbesondere sollen bestehende Sondersteuern auf Digital Services zurückgenommen werden. Diese waren einer der maßgeblichen Gründe, aus denen die USA den Beschluss des Frameworks auf OECD-Ebene anstrebten, da die betreffenden Unternehmen mittels solcher Steuern einseitig geschädigt wurden.

Eine effektive Umsetzung von Säule 1 dürfte zudem einen Spruchkörper wie etwa ein Schiedsgericht zwingend voraussetzen. Die Verteilung von Rechten an der Besteuerung von Amount A wird aus den IFRS-Handelsbilanzen nicht immer zweifelsfrei hervorgehen. Zudem müssen Unternehmen die Möglichkeit haben, gegen eine faktische Doppelbesteuerung vorzugehen. Erwogen wird die Einrichtung eines ständigen Spruchkörpers mit zwei Instanzen, vergleichbar mit dem Dispute Settlement Body der World Trade Organization (WTO). Die Ausgestaltung des Verfahrens und der Spruchkörper als solcher sind indes noch offen.

Säule 2: Globale Mindeststeuer

Die OECD zielt mit dem Framework zudem darauf ab, klassische Profit-Shifting-Maßnahmen, etwa über Darlehen und geistiges Eigentum, unattraktiv zu machen. Hierfür soll ein effektiver Mindeststeuersatz von 15 % weltweit greifen. Da bei weitem nicht alle Staaten der Welt die Absicht bekundet haben, ein Abkommen nach dem Framework zu ratifizieren, soll dies über eine Hinzurechnungsbesteuerung in den ratifizierenden Jurisdiktionen realisiert werden, die bei Unterschreitung der Schwelle von 15 % Körperschaftssteuer greifen soll.

Hinzurechnungsbesteuerung

Das deutsche Außensteuergesetz kennt das Konzept der Hinzurechnungsbesteuerung bereits. Unbeschränkt steuerpflichtige Personen müssen sich nach § 7 AStG den Gewinn von beherrschten Auslandsgesellschaften entsprechend den gehaltenen Anteilen auf ihr steuerpflichtiges Einkommen anrechnen lassen. Bei der Hinzurechnungsbesteuerung werden einem steuerpflichtigen Rechtssubjekt Gewinne eines (im Inland) nicht steuerpflichtigen Rechtssubjektes als eigener steuerbarer Gewinn angerechnet.

Das OECD Framework enthält das Konzept einer Hinzurechnungsbesteuerung, die greifen soll, wenn der im Marktstaat steuerpflichtige Gewinn mit weniger als 15 % besteuert wird. Dabei wird von einem mehrschichtigen Aufbau ausgegangen. So soll der Marktstaat die erste Schicht sein, der Staat mit der zugehörigen Betriebsstätte die nächste, dann folgen die Sitzstaaten der juristischen Personen. Solange die effektive Steuerlast auf einen bestimmten Zahlungsfluss 15 % unterschreitet, soll der nächste Staat in der Kette sich nach nationalem Recht das Recht der Hinzurechnungsbesteuerung vorbehalten, um die effektive Steuerlast auf 15 % zu erhöhen. Ziel ist es, zu verhindern, dass Unternehmen die effektive Steuerlast unter diese Schwelle senken können und somit den Unterbietungswettbewerb der Staaten nach unten zu begrenzen, da sich unterhalb dieser Schwelle keine Standortvorteile mehr ergeben.

Segmentierung und Verlustverrechnung

Um zu verhindern, dass eine Gewinnverschiebung mittels Darlehen oder geistigen Eigentumsrechten nach dem klassischen Schema profitabel bleibt, sowie dass Unternehmen die Profitabililtätsschwelle der Säule 1 durch Gewinnminderung umgehen, sollen Unternehmen nach einem funktionalen Schema segmentiert und die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten sachlich unzusammenhängender Bereiche verhindert oder jedenfalls reduziert werden. Indes ist fraglich, inwieweit dieser Vorschlag praktisch umgesetzt werden soll. Die Verrechnung der steuerbaren Gewinne mit Verlusten aus anderen funktionalen Einheiten eines Unternehmens ist ein essentieller Bestandteil von Investitionen, da die Schaffung neuer funktionaler Segmente in aller Regel mit initialen Verlusten einhergeht. Wenn beispielsweise ein Automobilhersteller seine Produktion umstellt, um profitabler zu werden, kann es sein, dass dieselbe Gesellschaft oder eine Tochtergesellschaft erhebliche Umstellungen in der Logistik vornehmen muss, um die Änderungen zu realisieren. Wenn Verluste aus dem Bereich Logistik nun nicht mit den steuerbaren Gewinnen aus Produktion und Vertrieb verrechnet werden können, wird diese Investition unverhältnismäßig erschwert. Zudem dürfte die funktionale Segmentierung sich als enorm komplex herausstellen, da interne Strukturen von Unternehmen sehr unterschiedlich und funktionale Bereiche teils nicht voneinander zu trennen sind. Die OECD konkretisiert nicht weiter, nach welchen Kriterien eine funktionale Segmentierung erfolgen sollte. Es bleibt abzuwarten, wie eine praxistaugliche Regel im nationalen Recht hierfür aussehen könnte.

Rechtlicher Rahmen

Das Inclusive Framework ist rechtlich nicht verbindlich. Anders als etwa die Europäische Union ist die OECD keine supranationale Institution mit Gesetzgebungskompetenz. Da die Umsetzung von Säule 1 multilaterale Kooperation zwingend voraussetzt, müssten die Konzepte der Säule 1 in ein völkerrechtlich bindendes Abkommen umgesetzt werden. Dieses zu verhandeln, ist der logische nächste Schritt für die Länder, die dem Framework zugestimmt haben. Ein solcher völkerrechtlicher Vertrag hätte für Deutschland nach Maßgabe des Art. 59 Abs. 2 GG rechtliche Bindungswirkung.

Die Umsetzung von Säule 2 würde, wie erläutert, über die Einführung einer Hinzurechnungsbesteuerung erfolgen. Diese liegt in der Kompetenz des jeweiligen nationalen Gesetzgebers. Die Ausgestaltung kann dabei vom Konzept des Inclusive Framework abweichen, da das Framework die nationale Legislative nicht bindet. Anders läge dies nur, wenn die Ausgestaltung der Steuergesetze Teil eines rechtsverbindlichen völkerrechtlichen Vertrages (i.S.v. Art. 59 Abs. 2 GG, bezogen auf die BRD) wird. Dies ist indes schwer vorstellbar, da dem Framework Länder mit grundlegend verschiedenen Besteuerungsparadigmen beigetreten sind. Deutschland beispielsweise besteuert nach dem Prinzip der Residenzbesteuerung das Welteinkommen, das UK besteuert  nach dem Non-Dom-Prinzip, während Costa Rica ein reines Territorialsteuerprinzip anwendet. Säule 2 dürfte ihre Umsetzung insofern in den meisten Fällen unilateral finden. Die Europäische Kommission plant die Ausarbeitung einer europäischen Richtlinie, um die Hinzurechnungssteuer europaweit zu harmonisieren. Da allerdings nicht alle Mitgliedsstaaten dem Framework zugestimmt haben, ist der Ausgang eines europäischen Gesetzgebungsprozesses nicht gesichert.

Rangverhältnis gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen

Geregelt werden müsste zudem das Verhältnis des Inclusive Frameworks, wenn es denn zum Vertrag würde, zu den bestehenden bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Völkerrechtliche Verträge erlangen in der deutschen Rechtsordnung über Art. 59 Abs. 2 GG den Rang eines formellen Bundesgesetzes. Das bedeutet technisch gesehen: sie stehen im Rang unter der Verfassung, über formellen Landesgesetzen und über Rechtsverordnungen. Konkurrieren zwei völkerrechtliche Verträge miteinander, entspricht dies der Konkurrenz zweier gleichrangiger formeller Bundesgesetze. In diesem Falle gilt der Grundsatz lex posterior derogat legi anteriori: Gültigkeit hat das später erlassene Gesetz.

Dies würde allerdings zu einem sogenannten Treaty Override führen. Hierunter versteht man den Fall, dass spätere nationale Gesetzgebung gegen einen völkerrechtlichen Vertrag verstößt und der Staat somit seine Verpflichtung aus diesem Abkommen bricht. Unproblematisch ist dies zwischen zwei Unterzeichnerstaaten des Abkommens: hier würde grundsätzlich der lex posterior-Grundsatz gelten. Im Verhältnis zwischen einem Unterzeichnerstaat und einem Drittstaat indes kann es zu Normkollisionen kommen. So könnte es beispielsweise sein, dass Deutschland durch die Anpassung seines Steuerrechtes entsprechend dem Framework seine Pflichten aus dem DBA mit Zypern verletzt. Selbst im Verhältnis der Unterzeichnerstaaten untereinander ist allerdings fraglich, ob das Überschreiben aller DBA politisch gewollt ist. Das Rangverhältnis mit bestehenden DBA dürfte insofern als essentieller Bestandteil eines verbindlichen Abkommens betrachtet werden.

Antizipierte Auswirkungen

Säule 1 würde eine grundlegende Neuerung im internationalen Steuerrecht bedeuten, von der insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer profitieren könnten. Sie hätten an der Wertschöpfung global agierender Unternehmen teil, zu der sie de facto beitragen, die allerdings mangels ansässiger Körperschaft keine steuerlichen Vorteile für sie bietet. Sofern tatsächlich ein effektiver Verteilungsmechanismus anhand der Anteile am im jeweiligen Marktstaat generierten Gewinn implementiert werden kann, könnte dies zu einer gerechteren Verteilung des Steueraufkommens führen und der globalen gesellschaftlichen Entwicklung zuträglich sein. Da es sich um eine reine Neuverteilung handelt, entstünde an dieser Stelle auch keine Mehrbelastung für die Unternehmen. Für diese wäre lediglich ein Gewinn an Rechtssicherheit, insbesondere im Hinblick auf Spezielle Digital Service Taxes, zu verbuchen.

Säule 2 indes ist eher als fragwürdig zu betrachten. Es existieren praktisch keine größeren Unternehmen, die ihren Gewinn mit insgesamt weniger als 15 % versteuern. Selbst bei den digitalen Unternehmen, die vermeintlich optimale Voraussetzungen fürs Profit Shifting haben, liegt die effektive Steuerlast auf Körperschaftsebene selten unter 15 %. Die effektive Steuerlast der Alphabet Inc. in den vergangenen Wirtschaftsjahren etwa lässt sich im Bereich 16 bis 21 % verorten. Diese liegt zwar deutlich unter dem vorgesehenen Körperschaftssteuersatz der USA von 35 %, ist allerdings auch nicht mit einer faktischen Steuervermeidung gleichzusetzen. Häufig kommen im Zusammenhang mit der Steuerlast global operierender Konzerne untaugliche Rechenmodelle zwecks Effekthascherei zum Einsatz, beispielsweise indem die Steuerlast innerhalb der EU mit dem weltweiten Gewinn eines Konzerns ins Verhältnis gesetzt wird. Dies verzerrt die reale Steuerbelastung der Unternehmensgewinne massiv.

Fazit

Das Inclusive Framework der OECD kann durchaus als Meilenstein im Hinblick auf die Besteuerung digital wirtschaftender Unternehmen betrachtet werden. Die Verteilung der Besteuerungsrechte anhand der Wertschöpfung in einzelnen Marktstaaten passt das Steuerrecht dieser Wirtschaftsform an, die sich mit den ursprünglichen steuerrechtlichen Begriffen der Ansässigkeit und der Betriebsstätte nicht erfassen ließ. Beachtlich ist allerdings, dass das Framework ein unverbindlicher Rahmenbeschluss ist und ein bindendes multilaterales Abkommen erst noch ausgehandelt werden muss. Dies dürfte angesichts der zahlreichen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dem Beschluss noch einen erheblichen Mehraufwand seitens der Staaten darstellen. Da Säule 1 für die betroffenen Unternehmen keine Mehrbelastung, dafür aber Rechtssicherheit schafft (etwa im Hinblick auf eine unitlaterale Digital Services Tax), ist sie auch aus wirtschaftlicher Perspektive als potentiell stabilisierend zu werten.

Die globale Mindeststeuer, die im Zusammenhang mit dem Framework oft genannt wird, stellt allerdings gegenüber dem status quo keine nennenswerte Änderung dar, da der Zielsteuersatz von 15 % im Rahmen dessen liegt, was global agierende Unternehmen ohnehin an Steuern zahlen. Zudem würde sie ihre Umsetzung rein unilateral finden, soweit sich die Staaten nicht völkerrechtlich zur Umsetzung und deren Ausgestaltung verpflichten.