Warum ist Delaware als Unternehmensstandort so beliebt?

In den vergangenen Beiträgen sind die Vorzüge und Einsatzmöglichkeiten einer Limited Liability Company (LLC) in den USA als Unternehmensform immer wieder betont worden. Dabei wurden bisher vor allem Florida und Wyoming als attraktive Adressen genannt. Der in den USA wohl populärste Unternehmensstandort ist nicht gefallen – der Bundesstaat Delaware. Warum ist Delaware unter amerikanischen Gründern so beliebt, und ist Delaware nicht auch der perfekte Unternehmensstandort für digitale Nomaden? Der heutige Beitrag setzt sich mit dem Unternehmensstandort Delaware auseinander und zeigt auf, warum eine Gründung in Delaware digitalen Nomaden nicht wirklich Vorteile bringt.

Unternehmensstandort Delaware

Etwa eine Million Einwohner und 1,8 Millionen registrierte Unternehmen – Delaware als populären Unternehmensstandort innerhalb der USA zu bezeichnen, wäre untertrieben. Was genau ist nun der Grund für diese herausragende Popularität? Delaware hat immerhin kein Silicon Valley und auch sonst keine nennenswerten geographischen Besonderheiten.

Um das Phänomen Delaware zu verstehen, müssen wir uns zunächst vor Augen halten, dass die USA ein stark föderaler Staat sind, in dem sowohl das Gesellschaftsrecht als auch Teile des Steuerrechtes in der Hoheit der Staaten liegen. Weniger sachkundige Erklärungsversuche der enormen Frequenz an Unternehmensgründungen in Delaware (im Durchschnitt knapp 1.000 pro Tag oder 350.000 pro Jahr) bezeichnen Delaware häufig als „Steueroase innerhalb der USA“. Was ist an dieser Erklärung dran?

Körperschaftssteuer

Diese Erklärung ist nicht nur oberflächlich, sondern sogar vollkommen falsch. Es ist zwar richtig, dass die Körperschaftssteuer in den USA separat von der Bundessteuerbehörde IRS und der Finanzverwaltung des jeweiligen Bundesstaates erhoben wird. Der Körperschaftsteuersatz auf Bundesebene beträgt dabei 21 %, die Staaten legen ihren eigenen Körperschaftsteuersatz selbst fest. Ist Delaware denn nun eine Steueroase?

Diese Annahme könnte von der Wahrheit nicht weiter entfernt liegen. Delaware hat auf Staatsebene einen Körperschaftsteuersatz von 8,7 % –  der zehnthöchste von allen Bundesstaaten und gar nicht so weit vom Spitzenreiter Iowa (12 %) entfernt. Staaten wie Texas, Florida oder Wyoming können dagegen mit 0 % aufwarten. Was aber macht Delaware so besonders, dass Unternehmen hier sogar Steuern zahlen, die vermeidbar wären?

Die Entwicklung des amerikanischen Gerichtsprozesses

Während die USA in den meisten Bereichen der Staatsverwaltung als beeindruckend effizient gelten, gilt dies ganz und gar nicht für den Zivil- oder Handelsprozess. Die Handelsgerichte, die Streitigkeiten zwischen Unternehmern entscheiden, sind notorisch ineffizient. Zugleich sehen amerikanische Gerichte trotz der eigentlich liberalen Rechtstradition Schiedsklauseln in Handelsverträgen überhaupt nicht gern und lassen sie selten Bestand haben. Wer schon einmal einen amerikanischen Handelsvertrag in der Hand hatte, wird feststellen, dass selbst simpelste Verträge regelrechte Monumentalschinken sind. Dies hängt damit zusammen, dass die Anwälte der beteiligten Unternehmen es um jeden Preis vermeiden wollen, dass es zum Zivilprozess kommt, und daher möglichst jeden denkbaren Streitpunkt vorab auszuräumen versuchen. Sollte es doch zum Prozess kommen, soll der Schaden durch eine umfassende Regelung aller Aspekte möglichst gering und der Prozess möglichst kurz gehalten werden.

Aber warum ist das so? Und was hat das mit dem Unternehmensstandort Delaware zu tun?

Die Wurzeln des amerikanischen Gerichtsprozesses reichen zurück bis nach England, und zwar im Jahr 1066. Wilhelm der Eroberer und seine Normannen haben London eingenommen und versuchen, das feudalistisch organisierte und traditionsbewusste Großbritannien unter ihre Kontrolle zu bekommen. Da eine Rechtsvereinheitlichung über das multiethnische Reich hinweg nicht möglich ist, beschränken sich die normannischen Herrscher darauf, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. England erhält kein allgemeines materielles Recht, sondern lediglich ein allgemeines Prozessrecht, das direkt auf der Autorität der Krone fußt. Die königlichen Richter reisen durch das Land und entscheiden rechtliche Streitfragen unter Berücksichtigung lokaler Rechtstraditionen. Mit dieser zugleich autoritären und doch schonenden Form der Kontrolle können sich die Invasoren schließlich als legitime Herrscher etablieren.

Um jedoch landesweit alle denkbaren Rechtsstreitigkeiten nach lokalem Recht zu entscheiden, bedarf es zumindest im Prozessrecht zentraler Normen. Und so wird, ähnlich dem System der actiones im römischen Recht, ein Prozessrecht entwickelt, das auf sogenannten writs basiert. Bei diesen handelt es sich um juristische Dokumente der königlichen Kanzlei, die jeweils ein Klagebegehren und die dafür zulässigen Beweisformen enthalten. Diese normieren den Gerichtsprozess und sorgen dafür, dass die Richter aus Westminster nicht von der Menge an lokalen Regeln überfordert werden. Ein Jury-System soll zudem die lokale Bevölkerung in den Prozess einbinden, die sich mit den Bräuchen vor Ort häufig besser auskennen als die königliche Justiz. Durch die Involvierung einer Jury aus Laien wurde dem Recht zwar optimal Rechnung getragen, die Prozesse wurden allerdings zunehmend langsamer und umständlicher. Das writ-System führte zu einer starken Formalisierung der Prozesse und ließ eine effiziente Aburteilung zunehmend in den Hintergrund rücken. Dieser ineffiziente und formalisierte Prozess jedoch war der status quo, als die Briten 1607 in Virginia ihre erste Kolonie gründeten und somit ihr Rechtssystem auf den amerikanischen Kontinent exportierten. Für die Amerikaner galt es nach ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1776 als großer Erfolg, dass sie das etablierte Justizsystem nun mit von der Krone unabhängigen Richten besetzen konnten. Das Justizsystem des Common Law galt ab diesem Zeitpunkt als Inbegriff einer höheren Gerechtigkeit, weswegen die in England ebenfalls starke Schiedsgerichtstradition es nicht im selben Maße schaffte, in Nordamerika Fuß zu fassen. Schiedsklauseln sind in amerikanischen Verträgen daher zwar bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gang und gäbe, bei inländischen Rechtsstreitigkeiten sind sie jedoch kaum akzeptiert.

Dies ist bis heute der Zustand der Zivilgerichte in den meisten Bundesstaaten der USA. Aus diesem Grund läuft es amerikanischen Wirtschaftsanwälten und Unternehmern eiskalt den Rücken herunter, wenn sie Begriffe wie „Litigation“ oder „Lawsuit“ hören. Prozesse vor staatlichen Zivil- oder Handelsgerichten sind stark formalisiert und müssen zudem vor einer Jury aus sachfremden Laien ausgetragen – und von diesen letztendlich entschieden werden. Der staatliche Zivilprozess ist eine extrem lange und extrem kostspielige Angelegenheit. Zudem existieren im Prozessrecht einiger Staaten keine klaren Regelungen zur Kostentragung – Prozesse werden teilweise also nicht danach entschieden, wer im Recht ist, sondern wer den Prozess länger finanziell stemmen kann. Dies ist gerade für kleine und neu gegründete Unternehmen eine ernst zu nehmende Gefahr.

Das Equity-Verfahren: Gerichtsprozess auf Steroiden

Da sich in England durch die starke Formalisierung, die starre Beweisführung und die begrenzte Auswahl an writs die Prozesse immer weiter von der Realität der Bürger und Unternehmen entfernten, wurde die Common Law-Rechtsprechung zunehmend als Ungerechtigkeit („inequity“) empfunden. Die königliche Kanzlei behalf sich zunächst, indem sie immer mehr verschiedene writs ausgab, die jedes neue Klagebegehren abdeckten. Dies ging so weit, dass ab einem gewissen Punkt kein Richter mehr das zersplitterte Prozessrecht Englands überblicken konnte. Um die zunehmend sachfernen Urteile zu korrigieren, richtete die königliche Kanzlei im 14. Jahrhundert eine Art Berufungsinstanz, den Court of Chancery ein. In diesem sollten ungerechte Ergebnisse, die das Common Law hervorgebracht hatte, korrigiert und in lebensnahe Gerechtigkeit („equity„) überführt werden. Da die vorhandenen writs aber bei weitem nicht jeden Sachverhalt und jedes Klagebegehren abdeckten, begann die Kanzlei, Klagen direkt anzuhören und nicht mehr als reine Berufungsinstanz gegen vorhergehende Urteile zu fungieren. Dieser völlig neue Gerichtszweig der Equity machte das Common Law schließlich wieder populär und stellte seine Autorität als Gerechtigkeit aus dem Volk für das Volk wieder her. Der Administration of Justice Act aus dem Jahr 1841 machte die Equity-Gerichte schließlich zu einem formell eigenen Rechtsweg und etablierte den Court of Chancery dauerhaft als mit der King’s Bench ranggleiches höchstes Gericht. Das Equity-Verfahren ist wenig formalisiert (das writ-System wurde für das Verfahren einige Zeit nach seiner Etablierung abgeschafft) und stark auf allgemeine Rechtsgrundsätze sowie die Parteiinteressen fokussiert. In Teilen hat es Züge eines Mediationsverfahrens.

Und was hat das jetzt mit Delaware zu tun?

Delaware war der erste Staat, der 1788 die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika unterzeichnete. Diese sah im Justizsystem des Bundes keinen Court of Chancery und auch sonst keine Equity-Gerichte vor. In Delaware war der durchschlagende Erfolg des Equity-Prozesses in England allerdings nicht unbemerkt geblieben, und als sich Delaware 1792 seine eigene Staatsverfassung gab, wurde mit dieser ein vollständiger Instanzenzug der Equity-Rechtsprechung etabliert. Man versprach sich hiervon einen strukturellen Vorteil gegenüber anderen Bundesstaaten, da in England zu beobachten war, dass die Equity-Gerichte sogar mit den hocheffizienten privaten Handelsschiedsgerichten konkurrenzfähig waren. Wenn Unternehmer freiwillig vor ein staatliches Gericht ziehen, dann kann dies als Indikator für eine besonders hohe Effizienz und Rechtssicherheit gesehen werden – die dann wiederum weitere Unternehmer anzieht.

Zwar folgten weitere Bundesstaaten dem Beispiel Delawares und etablierten ebenfalls Equity-Instanzenzüge. Delaware den Rang abzulaufen, war allerdings nicht mehr möglich. Denn auch wenn die Equity nicht zum Common Law im engeren Sinne gehört, basiert sie auf Case Law, also auf der Orientierung an Präzedenzfällen. Da der Court of Chancery in Delaware bereits früh eine Vielzahl grundlegender Entscheidungen fällte und somit wichtige Präzedenzfälle schaffte, versprach der Rechtsweg vor den Equity-Gerichten von Delaware zu jedem Zeitpunkt das höchstmögliche Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit.

Den Rest der Geschichte erzählt die Statistik – und die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die Rechnung ist für Delaware auf ganzer Linie aufgegangen.

Delaware für digitale Nomaden

Das Erfolgsgeheimnis Delawares als Unternehmensstandort liegt also nicht im Steuerrecht, sondern in Zivilprozessrecht. Wird ein Unternehmen an seinem Standort verklagt, so sollte das Justizsystem an diesem Standort einen effizienten Prozess und eine transparente und interessengerechte Entscheidungsfindung bieten. Die Equity-Gerichte in Delaware bieten genau dies und hebeln damit die systemischen Schwächen des amerikanischen Zivilprozesses aus. Unternehmen siedeln sich hier an, um sich gegen das Risiko extrem ressourcenintensiver Zivilprozesse abzusichern. Der Vorteil, den Unternehmen durch das reduzierte Risiko exorbitanter Prozesskosten und langer, aufwendiger Verfahren erlangen, ist sogar so groß, dass sie dafür eine signifikant höhere Körperschaftsteuer bezahlen – wodurch die Equity-Gerichte für den Staat Delaware wiederum zu einer wahren Goldgrube werden. Delaware als Unternehmensstandort ist gewissermaßen die Versicherung ortsansässiger Unternehmer in den USA gegen die spezifischen Risiken eines ineffizienten Zivilprozesses – die Körperschaftsteuer ist die Versicherungsprämie.

Haben wir als digitale Nomaden, die eine LLC einfach nur als steuerlich transparente Abrechnungsgesellschaft nutzen, nun einen Nutzen davon?

Die Antwort ist ganz eindeutig: Nein. Die LLC als steuerlich transparent (heißt: nur die Gesellschafter persönlich zahlen Einkommenssteuer, nicht die Gesellschaft) registrieren zu lassen, setzt voraus, dass die Geschäftsleitung außerhalb der USA stattfindet. Die Gesellschaft gilt dann als de facto gebietsfremd und unterliegt nicht denselben zivilprozessualen Beschränkungen wie eine inländisch ansässige bzw. geleitete LLC. Es ist also kein Problem, seinen Gerichtsstand frei zu wählen oder die eigenen Handelsverträge einer Schiedsklausel zu unterwerfen. Der Standort Delaware bringt in Sachen Rechtssicherheit also keine Vorteile. Gebietsfremde Unternehmer, insbesondere solche, die ihr Geschäft nicht auf amerikanische Kunden und Geschäftspartner ausrichten, sind dem Risiko staatlicher amerikanischer Zivilprozesse in den allermeisten Fällen ohnehin nicht ausgesetzt.

Ein nennenswerter Vorteil, den die Gründung in Delaware mit sich bringt, ist die Möglichkeit, eine manager-managed LLC zu gründen. In diesem Fall wird ein Treuhänder mit der Verwaltung (Management) der Gesellschaft betraut und als Manager im Handelsregister eingetragen. Die Gesellschafter (Member) der LLC tauchen nicht im öffentlichen Handelsregister auf und sind gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber Geschäftspartnern somit anonym.

Das bedeutet nicht, dass mit einer LLC in Delaware rechtswidrige Geschäfte abgewickelt werden können! Seit dem Corporate Transparency Act sind alle Bundesstaaten verpflichtet, ein Beneficiary-Register zu führen, das zwar nicht der Öffentlichkeit, aber den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung steht. Anonyme Gründungen kommen nur für legitime Vermögensschutzzwecke in Betracht, z.B. um den Abmahnterror deutscher Anwälte abzuwürgen.

Die Anonymität ist aber nur in bestimmten Fällen tatsächlich von Nutzen. Wird ein rechtlich einwandfreies Geschäft und rechtlich abgesichertes betrieben, ist von ihr regelmäßig abzuraten, da sie Dinge wie die Eröffnung von Geschäftskonten oder die Aufnahme von Unternehmenskrediten erschwert. Für eine anonyme Gründung zum Schutz des eigenen Vermögens bietet sich eher Wyoming an, da hier sogar das Vermögen einer im Alleineigentum eines Gesellschafters stehenden LLC vor einem Durchgriff der persönlichen Haftung auf die LLC geschützt ist. Auch in New Mexico kann mithilfe eines Treuhänders anonym gegründet werden.

Dazu muss allerdings gesagt werden, dass Delaware für digitale Nomaden zwar keine Vor- aber auch keine Nachteile bietet. Die Körperschaftsteuer auf Staatsebene greift für die steuerlich transparente LLC ebenso wenig wie jene auf Bundesebene. Eine LLC in Delaware zahlt lediglich eine pauschale Franchise Tax von $ 300 im Jahr. Dafür kann sie dann, sofern sie Bedarf hat, auch in den Genuss des effizienten Justizsystems am Standort Delaware kommen. Zudem gibt es in Delaware keine Sales Tax (vergleichbar mit der Umsatzsteuer), was in bestimmten Konstellationen als Vorteil ins Gewicht fallen kann.

Fazit

Die Popularität Delawares als Unternehmensstandort hängt in erster Linie mit dem Rechtsweg der Equity zusammen. Equity-Prozesse sind wenig formalisiert, dafür sehr effizient und interessengerecht und somit optimal für das Handelsrecht, in dem Schnelligkeit und Rechtssicherheit elementar für jede juristisch relevante Entscheidung sind. Delaware als Unternehmensstandort ist die Versicherung amerikanischer Unternehmer gegen einen ineffizienten und kostspieligen Zivilprozess. Für gebietsfremde Unternehmer, die ihre Delaware-LLC aus dem Ausland betreiben und primär als steuertransparente Abrechnungsgesellschaft nutzen, fällt dieser Vorteil in aller Regel nicht ins Gewicht, da Gebietsfremde keine Probleme mit Gerichtsstandswahl oder Schiedsklauseln haben werden. Delaware bietet insofern keine spezifischen Vorteile, aber auch keine wirklichen Nachteile, und ist neben Standorten wie Florida oder Wyoming eine gute Option für ausländische LLC-Gründer.