Interview mit Dr. Emanuel H. F. Ballo (DLA Piper) zum VerSanG-E

Unternehmensrecht Aktuell hat RA Dr. Emanuel H. F. Ballo, Partner bei der internationalen  Kanzlei DLA Piper, zum Entwurf für das Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten befragt.

UA: Zunächst einmal allgemein: was ist Ihr Gesamteindruck vom VerSanG-E? Halten Sie das Regelwerk des Entwurfes für geeignet, um die gesteckten Ziele zu erreichen, und ist ein solches Regelwerk der aktuellen Situation Ihrer Einschätzung nach erforderlich?

Dr. Ballo: Die wesentlichen Ziele des Verbandssanktionengesetzes sind, Unternehmen für betriebsbezogene Straftaten ihrer Leitungspersonen und Mitarbeiter schärfer zu sanktionieren, Compliance-Maßnahmen durch die Unternehmen zu fördern und Anreize für die Durchführung von internen Untersuchungen zu schaffen. Das ist dem Gesetzgeber grundsätzlich gelungen. Unter anderem hat der Gesetzgeber die maximale „Verbandsgeldsanktion“ signifikant erhöht. In Zukunft können Geldsanktionen von bis zu zehn Prozent des Konzernjahresumsatzes verhängt werden. Andererseits haben Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass bereits nach der aktuellen Gesetzeslage sehr hohe Geldbußen gegen Unternehmen möglich sind.

Als Unternehmensverteidiger und -vertreter begrüße ich insbesondere die vorgesehene Stärkung der Verfahrensrechte von Unternehmen, das grundsätzliche Vorhaben, die Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen (sogenannte „Internal Investigations“) verbindlich zu regeln sowie die gesetzlich verankerte Maßgabe, effiziente Compliance Maßnahmen bei der Art und Höhe möglicher Unternehmenssanktionen zu berücksichtigen. Hier besteht meines Erachtens in der Tat Handlungsbedarf.

Gibt es bestimmte Aspekte, die Sie an dem Entwurf uneingeschränkt befürworten und für praxistauglich halten, und gibt es Aspekte, die Sie für gar nicht erforderlich oder praxisfern halten? Hätten Sie zu einigen Punkten alternative Konzepte, die Sie für sinnvoller halten?

Dr. Ballo: Zu kritisieren sind aus meiner Sicht insbesondere die geplante Regelung zum Beschlagnahmeschutz sowie die Trennung zwischen dem Unternehmensverteidiger und dem Rechtsanwalt, der die verbandsinterne Untersuchung durchführt. In der Regel ist es auch für den Unternehmensverteidiger erforderlich, den Sachverhalt zu ermitteln. Nur so kann er seinen Mandanten bestmöglich verteidigen. Das ist originäre Verteidigertätigkeit, so dass die Erkenntnisse aus dieser internen Untersuchung (des Unternehmensverteidigers) nicht der Beschlagnahme durch Ermittlungsbehörden unterliegen dürfen. Dass die vom Beschlagnahmeschutz erfasste Verteidigertätigkeit möglicherweise erst mit der formellen Stellung des Unternehmens als Beschuldigte bzw. Betroffene beginnen soll, halte ich für falsch. Wie auch bei Individualmandaten, sollte das Unternehmen die Möglichkeit haben, sich von einem Verteidiger bereits zu einem Zeitpunkt beraten zu lassen, in dem ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen noch nicht eingeleitet wurde. Hier würde ich es bevorzugen, den § 97 StPO dahingehend klarzustellen.

Die Verlegung der Verbandssanktionen aus dem Ordnungswidrigkeiten- ins Strafrecht bedeutet, dass nun das Legalitäts- statt des Opportunitätsprinzips zur Anwendung kommt, da die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu den Ordnungsbehörden zwingend einschreiten muss. Teilen Sie die teilweise geäußerte Befürchtung, dass deswegen viele Bagatellverfahren geführt werden müssen, oder denken Sie, dass die Staatsanwaltschaft diese im Rahmen des Gesetzes überwiegend wird einstellen können?

Dr. Ballo: Ich teile diese Sorge. Die Einhaltung des Legalitätsprinzips halte ich in der Sache für nicht erforderlich und auch im Übrigen nicht für sinnvoll. Dieser „Paradigmenwechsel“ wird erhebliche Folgen nicht nur für Unternehmen, sondern auch für die Staatsanwaltschaften haben. Bei nahezu jeder betriebsbezogenen Straftaten wird sich das Unternehmen zukünftig mit einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren auseinandersetzen müssen. Das ist mit Aufwand verbunden und bindet Ressourcen. Umgekehrt bleibt abzuwarten, wie Staatsanwaltschaften mit dieser erheblichen Mehrbelastung personell umgehen werden. Dass im Fall eines „Bagatellverfahrens“ das Ermittlungsverfahren zeitnah eingestellt wird, mag man hoffen, ist für Unternehmen aber eher ein schwacher Trost. Denn mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens tritt für das betroffene Unternehmen bereits der Reputationsschaden ein.

Ein Novum im deutschen Recht ist die Möglichkeit interner Untersuchungen von Verbandstaten. Wie bewerten Sie diese Möglichkeit?

Dr. Ballo: Interne Untersuchungen sind inzwischen für viele Unternehmen an der Tagesordnung. Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, dass der Gesetzgeber unternehmensinterne Untersuchungen gesetzlich regeln möchte. Dazu zählt auch die Thematik, dass die strafprozessualen Rechte von beschuldigten Angestellten mitunter dadurch „ausgehebelt“ werden können, dass die Mitarbeiter gegenüber der Staatsanwaltschaft einerseits ein Aussageverweigerungsrecht geltend machen können, andererseits aber arbeitsrechtlich in den meisten Fällen dazu verpflichtet sind, gegenüber dem Arbeitgeber Angaben zu machen. Nicht selten teilt der Arbeitgeber diese Informationen – zur Wahrung der eigenen Interessen – der Staatsanwaltschaft mit.

Auch das pflichtgebundene Ermessen der Gerichte, die Sanktion zu mildern, wenn das Unternehmen mit den Behörden kooperiert, schafft mehr Rechtssicherheit und ist grundsätzlich zu begrüßen.

Hitzig diskutiert wird in dieser Hinsicht auch das Verbot, die Untersuchung von den Verteidigern des Unternehmens vornehmen zu lassen. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Ballo: Das sehe ich ebenfalls kritisch. Insbesondere wird die gesetzliche Regelung von dem Gedanken getragen, der Unternehmensverteidiger könne gegebenenfalls sogar in strafrechtlich relevanter Weise gezielt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gefährden oder gar torpedieren. Das hat mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts und Verteidigers in der Bundesrechtsanwaltsordnung und in der Strafprozessordnung nichts zu tun.

Der Entwurf betont als wesentliches Ziel, dass die Investition in Compliance-Maßnahmen attraktiver werden soll, gerade indem durch interne Untersuchungen Strafgelder gemindert werden können. Aber wirkt sich das Gesetz auch auf Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen aus? Beinhaltet das Gesetz nicht mittelbar auch eine Verschärfung der bisherigen Anforderungen?

Dr. Ballo: Die Durchführung von Compliance Maßnahmen werden in Zukunft nach dem Willen des Gesetzgebers in der Tat attraktiver. Das ist zu begrüßen. Auch interne Untersuchungen können sich – wie bereits ausgeführt – erheblich bußgeldmindernd auswirken. Bedauerlich ist indes, dass der Gesetzgeber zwar Anreize für die Ausgestaltung und Optimierung von Compliance Management Systemen geschaffen hat, letztlich jedoch auf halbem Weg stehen bleibt. So gibt das Gesetz den Unternehmen keine Maßgaben an die Hand, wie ein gutes „Compliance Management System“ auszusehen hat. Das ist ein Unterschied zu den Regelungen in den USA oder in Großbritannien, wo es ausführliche Vorgaben und Richtlinien dazu gibt.

Ich meine nicht, dass die bisherigen Anforderungen an Compliance Maßnahmen mit dem Verbandssanktionengesetz verschärft werden. Die Maßnahmen gewinnen jedoch erheblich an Bedeutung, da unterlassene Maßnahmen für Unternehmen um ein Vielfaches teurer werden können als die Implementierung der Compliance Maßnahmen.

Wie dürfte sich das auf die unternehmereiche Praxis auswirken? Müssen Unternehmen gegebenenfalls ihre der Compliance gewidmeten Strukturen völlig neu aufstellen? Werden gewisse gängige Praxen so nicht mehr tauglich sein?

Dr. Ballo: Ich glaube nicht, dass Unternehmen ihre Compliance Strukturen völlig neu aufstellen müssen oder bestimmte Praxen nicht mehr tauglich sein werden. Wie bereits ausgeführt, wird die Implementierung und Optimierung von Compliance Management Systemen in der Praxis aber erheblich an Bedeutung gewinnen. Unternehmensleiter, die in der Vergangenheit Compliance Maßnahmen möglicherweise lediglich als Kostenfaktor gesehen haben, werden diese Position überdenken müssen. Denn in Zukunft kann ein effizientes Compliance Management System insbesondere dazu führen, dass (i) schon keine Verbandstat vorliegt, (ii) das Ermittlungsverfahren eingestellt wird oder (iii) eine mildere Sanktion erlassen wird.

Aus meiner Sicht ist mit diesem „Auftrag“ an Unternehmen nicht verbunden, dass Compliance Strukturen neu aufgestellt werden müssen. Vielmehr werden die in der Praxis anerkannten Best Practices im Hinblick auf die Implementierung von Compliance Management Systemen (z. B. „Tone from the Top“, Risikoanalyse, Reporting etc.) auch in Zukunft die wesentlichen Gesichtspunkte bleiben.

Denken Sie, dass das VerSanG auch das Risiko für geschäftsführende Verbandsorgane erhöhen würde, sich nach ihrer allgemeinen Compliance-Pflicht (Anm.: vgl. dazu LG München I, Az. 5 HK O 1387/10) schadensersatzpflichtig zu machen, wenn das Fehlen von Vorkehrungen zu höheren Verbandsgeldern führt?

Dr. Ballo: Ja. Angesichts der erhöhten Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Unternehmen und dem gesetzlich normierten Auftrag an Unternehmen, ein effizientes Compliance Management System zu implementieren, steigt auch das Haftungsrisiko für Leitungsorgane, wenn diese ihren Compliance-Pflichten nicht nachkommen.

Verhält sich die Mehrbelastung, die den Unternehmen somit auferlegt wird, verhältnismäßig zum zu erwartenden Effekt hinsichtlich der Unternehmenskriminalität?

Dr. Ballo: Die mit einem effizienten Compliance Management System verbundenen Vorteile im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens sind nach dem Gesetzesentwurf so groß, dass der mit der Implementierung von Compliance Management Systemen verbundene Mehraufwand in aller Regel verhältnismäßig sein wird.

Ob die gesteigerten Compliance Bemühungen zur Abnahme von Unternehmenskriminalität generell führen wird, ist hingegen abzuwarten.

Und zu guter Letzt: wird sich die Neustrukturierung von Compliance-Strukturen, etwa auch Rechtsabteilungen, und Verteidigung auch in der anwaltlichen Arbeit bemerkbar machen? Wird der Bedarf an spezialisierten Wirtschaftsstrafrechtlern für Unternehmen wie für Wirtschaftskanzleien steigen?

Dr. Ballo: Ja, aus meiner Sicht wird der Bedarf nach spezialisierten Wirtschaftsstrafrechtlern für Unternehmen weiter steigen. Die Entwicklung der letzten Jahren wird insoweit anhalten. Unternehmen, gegen die in Zukunft von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden wird, werden in aller Regel Unternehmensverteidiger zu Rate ziehen müssen. Gleichzeitig wird der Bedarf an präventiver Compliance Beratung steigen. Insoweit bleibt es für alle Seiten spannend: für Unternehmen, die Staatsanwaltschaften sowie für Rechtsanwälte und Unternehmensverteidiger.  

Herr Dr. Ballo, wir danken Ihnen für Ihre Antworten.