BGH: Ausschluss eines Gesellschafters bei unvollständig geleisteter Einlage

Das Stammkapital der GmbH ist unantastbar. Dies hat seine Gründe in der Natur des Handelsverkehrs; zwecks Vertrauensschutzes und Rechtssicherheit muss jede Gesellschaft ein gewisses Kapital öffentlich im Handelsregister beziffern, das ihren Gläubigern haftet, und das nach § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG nicht an die Gesellschafter ausbezahlt werden darf.

Problematisch wird dieses Gebot, wenn es zu einem Zerwürfnis zwischen den Gesellschaftern kommt, und der einzige gangbare Weg zur Fortführung der Gesellschaft der Ausschluss eines Gesellschafters ist. Der Ausschluss kann entweder durch Einziehung des Geschäftsanteiles erfolgen, wobei dieser vernichtet wird, oder unter seiner Erhaltung, wodurch er nur rechtsträgerlos wird. Beide Wege werfen jedoch ein im Kern ähnliches Problem auf: der Gesellschafter kann nur unter Zahlung einer Abfindung ausgeschlossen werden. Möglicherweise erhält er das Geld, das er an die Gesellschaft gezahlt hat, zurück.

Somit wird in beiden Fällen das Stammkapital unterschritten: bei der Einziehung entspricht die Summe der Nennwerte der Geschäftsanteile nicht mehr dem Stammkapital, und beim Ausschluss ist auf einen Geschäftsanteil keine Einlage mehr geleistet.

Zum Fall des Ausschlusses ist am 04.08.2020 ein Urteil des BGH ergangen:

BGH II ZR 171/19

Diesem Urteil lassen sich zwei Grundsätze zur Wirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses entnehmen.

  1. Ein Gesellschafter kann auch dann ausgeschlossen werden, wenn er die Einlage auf seinen Geschäftsanteil noch nicht vollständig geleistet hat.
  2. Ein Ausschließungsbeschluss muss nicht zugleich die Art der Verwertung des Geschäftsanteiles regeln; die Entscheidung über diese kann die Gesellschaft später treffen.

Dies beides ist bemerkenswert, weil es in gewisser Weise die strengen Kapitalerhaltungsvorschriften, die dem Schutz des Rechtsverkehrs dienen, locker anwendet.

Relativ leicht begründen lässt sich der zweite Punkt: Dem ausscheidenden Gesellschafter muss eine Abfindung gezahlt werden, die sich grundsätzlich nach dem Verkehrswert seines Geschäftsanteiles bemisst. Der Verkehrswert liegt in der Regel über dem Nennwert, da er den Nennwert sowie den immanenten Wert der zum Geschäftsanteil gehörenden mitgliedschaftlichen Rechte umfasst. Aber: die Zahlung der Abfindung ist keine Rückgewähr der Einlage, die gegen § 30 GmbHG verstoßen würde. Die Abfindung muss aus ungebundenen Mitteln der Gesellschaft gezahlt werden (so auch BGH II ZR 65/16; BGH II ZR 109/11). Die Einlage auf das Stammkapital verbleibt der Gesellschaft. Daher ändert sich nur das freie Vermögen der Gesellschaft, nicht das Stammkapital, wenn die Abfindung gezahlt wird. Ist kein ungebundenes Vermögen verfügbar, kann der Ausschluss gar nicht erst erfolgen. Ein entsprechender Beschluss ist von vornherein unwirksam, wenn der letzte Jahresabschluss kein freies Kapital der Gesellschaft ausweist (BGH II ZR 73–99).

Aus dieser Bewertung ergeben sich auch Anhaltspunkte für die Bewertung der zweiten Frage. Ein Gesellschafter, der durch Kaduzierung ausgeschlossen wird, haftet weiterhin für seine Einlage. Der Grund für die Kaduzierung ist gerade die fehlende Zahlung der Einlage trotz Fälligkeit und Mahnung. Das bedeutet: ein Gesellschafter, der seine Einlage bei Fälligkeit nicht leistet, könnte sich der Haftung entziehen, wenn er der Gesellschaft vor der Mahnung, die für die Kaduzierung erforderlich ist, einen allgemeinen Ausschlussgrund liefert. Durch stärker treuwidriges Verhalten könnte er also seine Rechtsposition verbessern. Dies kann nicht gewollt sein; der Gesellschafter wird nach dem Ausschluss weiterhin auf Zahlung seiner Einlage haftbar gemacht werden müssen.

Seine Abfindung wiederum, die ihm aus dem Ausschließungsverfahren zusteht, muss er aus freien Gesellschaftsmitteln erhalten. Hierfür macht es keinen Unterschied, ob er seine Einlage geleistet hat oder nicht. Damit bleibt also auch hier das Stammkapital unberührt: die Einlageforderung steht der Gesellschaft weiter zu, die Abfindung berührt nicht die Höhe des Stammkapitals.

Daher steht auch in diesem Fall das Gebot der Kapitalerhaltung dem Ausschluss nicht entgegen.

Die Anwendung dieser Grundsätze bedeutet im Umkehrschluss: unter den genannten Bedingungen ist nur ein Ausschluss möglich. Eine Amortisation (Einziehung) nach § 34 GmbHG ist mit dem Gebot der Kapitalerhaltung nach § 30 GmbHG nicht vereinbar.

Fazit

Ein Gesellschafter, der seine Einlage noch nicht vollständig erbracht hat, kann aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dabei ist es trotz des Kapitalerhaltungsgebotes nicht erforderlich, zeitgleich über die Verwertung seines Geschäftsanteils zu entscheiden.