Außensteuergesetz teilweise verfassungswidrig?

Neben zahlreichen Verschärfungen des Außensteuergesetzes, über die Unternehmensrecht Aktuell bereits berichtet hat, wurde das AStG zum 01. Juli 2021 (wirksam ab dem Veranlagungszeitraum vom 01.01.2022 an) in einem Punkt gelockert – mit weitreichenden Folgen.  Die Neufassung der § 7 Abs. 2 und Abs. 3 AStG, der die Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften regelt, ist durch die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 2 AStG a.F. bedingt; indes wird in der Fachwelt angezweifelt, dass die Neufassung der Norm verfassungsrechtlichen Kriterien genügt.

Zweck des § 7 Abs. 2 AStG

Die Paragraphen 7 bis 10 des AStG sind die sogenannten CFC-Rules (Controlled Foreign Companies Rules) des deutschen Außensteuerrechtes. CFC-Rules sollen verhindern, dass unbeschränkt Steuerpflichtige i.S.v. § 1 EStG durch Geschäftstätigkeit im Ausland steuerneutral Einnahmen erzielen können. Bei rationaler Betrachtung ist dies überflüssig, da Einnahmen, die de facto an den Gesellschafter ausgeschüttet werden, nach § 2 EStG (Welteinkommensprinzip) ohnehin als dessen Einkommen besteuert würden. Das Problem aus deutscher Sicht: es würde keine Steuer fällig, solange die Gewinne im Unternehmen thesauriert und/oder reinvestiert werden. Gesundes Wachstum ausländischer Unternehmen sieht der deutsche Gesetzgeber als Vollblut-Protektionist allerdings ungern, weswegen die Steuerpflicht gewissermaßen vorverlagert wird. Konkret sagt § 10 Abs. 1 AStG:

(1) Die nach § 7 Absatz 1 steuerpflichtigen Einkünfte sind bei dem Steuerpflichtigen als Hinzurechnungsbetrag anzusetzen. Ergibt sich ein negativer Betrag, so entfällt die Hinzurechnung.

Das bedeutet im Klartext: Der Gewinnanteil eines Gesellschafters muss in dem Moment als dessen persönliches Einkommen versteuert werden, in dem die Gesellschaft den entsprechenden Gewinn macht, nicht erst bei Ausschüttung. Wenn nun also meine LLC mit Sitz in St. Kitts and Nevis, an der ich zu 70 % beteiligt bin, einen Gewinn von 100.000 € macht (gegeben, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 AStG vorliegen), so werden 70.000 € auf mein persönliches steuerpflichtiges Einkommen hinzuaddiert. Mein Gewinnanteil befindet sich zwar noch im eigenen Vermögen der LLC, ich muss ihn allerdings versteuern, als wäre es ein persönlich erzielter Gewinn. Da zudem ausländische Kapitalgesellschaften in Deutschland häufig nicht als solche anerkannt werden, wird der Gewinn in aller Regel wie bei Personengesellschaften als Einkommen aus eigener gewerblicher Tätigkeit nach dem Tarif des § 32a EStG und nicht als Einkommen aus Kapitalvermögen mit dem entsprechenden Tarif des § 32d EStG besteuert.

Typenvergleich bei Handelsgesellschaften

Letzteres Problem gilt gerade für LLCs. Diese bieten zwar teilweise, so etwa in den USA auf gegenüber der IRS auf Bundesebene, die Möglichkeit, sich freiwillig zur Corporate Tax veranlagen und steuerlich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Der Typenvergleich im deutschen Recht wird allerdings entsprechend einem Urteil des BFH vom 17.07.1986 (Az. I 121/64) ausschließlich auf gesellschaftsrechtlicher Ebene vorgenommen. Dabei werden die gesellschaftsrechtlichen Spezifika ermittelt und anschließend mit denen der deutschen Gesellschaften abgeglichen. Dabei kommt es nicht rein auf die Struktur, sondern auch auf eventuelle Publizitätspflichten an. So gilt im deutschen Gesellschaftsrecht die grundlegende Wertung, dass die Haftungsbeschränkung einer Kapitalgesellschaft nur im Tausch gegen die Transparenz aus der Registerpublizität (§§ 5, 15 HGB) gewährt werden kann (gilt selbstverständlich ebenso für die Haftungsbeschränkung von Kommanditisten). Gesellschaften ohne Publizitätspflichten, wie etwa die LLC aus Nevis, haben im Typenvergleich somit per se schlechte Karten, als Kapitalgesellschaft anerkannt zu werden. Die Einstufung als Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft erfolgt dann nach Ähnlichkeit der rechtlichen Struktur. Im Zweifelsfall gilt jede Gesellschaft als Personengesellschaft, bei Fehlen jeglicher Ähnlichkeiten also als GbR i.S.v. § 705 BGB, da die GbR als einzige Gesellschaft mit weitgehender Satzungsautonomie keine strukturellen Spezifika aufweist. Die Anerkennung als Kapitalgesellschaft muss separat festgestellt werden. Das Steuerrecht bleibt beim Typenvergleich außen vor, weswegen die optionale Veranlagung zur Corporate Tax selbst bei Ausübung der Option unbeachtlich ist. Der Vergleich spielt sich allein auf Ebene des Gesellschaftsrechtes ab (ähnlich wie beim Rechtsformwechsel in inländisches Recht), anschließend wird deutsches Steuerrecht angewendet.

Ausländische Zwischengesellschaft

Eine ausländische Zwischengesellschaft im Sinne des Außensteuergesetzes ist nach § 7 Abs. 1 AStG

(1) […] eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Inland hat und die nicht gemäß § 3 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist

Das bedeutet, dass die Rechtsform für die grundsätzliche Entstehung der Steuerpflicht unerheblich ist. Selbst Begünstigte bzw. Beneficiaries einer Stiftung oder eines Trusts unterliegen der Hinzurechnungsbesteuerung. Dies ist ein besonders komplizierter Fall, da die steuerliche Klassifizierung der Leistungen einer Stiftung an die Begünstigten bereits innerhalb von Deutschland uneindeutig ist. Leistungen einer Stiftung können nach einem Urteil des BFH vom 03.11.2010 (Az. I R 98/09) als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 EStG gelten, soweit der Begünstigtenanspruch seinem Inhalt nach dem Gewinnanteilsanspruch eines Anteilseigners an einer Kapitalgesellschaft ähnelt, insbesondere dann, wenn der Begünstigte Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen kann (sowie es ein Gesellschafter im Gewinnverwendungsbeschluss tut). Möglich ist allerdings auch eine Subsumtion der Leistung einer Stiftung unter den Schenkungsbegriff der §§ 1, 7 ErbStG, was zur Besteuerung entsprechend der Erbschaftssteuerklasse nach §§ 19, 15 ErbStG führt. Ist eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person nun also Begünstigter einer ausländischen Vermögensmasse (Stiftung oder Trust), wird im ersten Schritt ein Typenvergleich und dann eine Klassifizierung des konkreten Leistungsanspruches vorgenommen, was zu einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit beim Steuerpflichtigen führt.

Erschwerend kommt weiterhin hinzu, dass es bei einer Stiftung oder einem Trust keine Anteilseignerschaft gibt. Verhältnismäßig auszuübende Berechtigungen lassen sich allenfalls dadurch ermitteln, dass man den (relativen) Umfang des Anspruches auf Leistungen der einzelnen Begünstigten quantifiziert. Dieser Aspekt kann problematisch werden, wenn es um die Frage nach der Beherrschung geht, die ein zentrales Tatbestandsmerkmal des Hinzurechnungssteuertatbestandes ist.

Beherrschung einer ausländischen Zwischengesellschaft

Der Begriff der Beherrschung ist im Gesellschaftsrecht kein eindeutiger Begriff. Eine Beherrschung ab einer Anteilseignerschaft von über 50 % anzunehmen (genügend etwa für Beschlüsse nach §§ 119, 120 AktG), ist deshalb problematisch, weil einige wesentliche Beschlüsse nur mit einer Dreiviertelmehrheit gefasst werden können (z.B. § 293 AktG, Abschluss von Konzernverträgen). Ein Beherrschungsvertrag i.S.v. § 291 AktG indes begründet keine Beherrschung im engeren Sinne, da dieser nur die Geschäftsleitung (§ 76 AktG) an eine andere Gesellschaft überträgt, dieser allerdings nicht die Rechte eines Anteilseigners vermittelt.

Im Steuerrecht ist der Beherrschungsbegriff einfacher zu fassen, da es spezifisch um den Gewinn und die Einflussmöglichkeiten auf die Gewinnausschüttung geht. Geht man hier – um den Grundsätzen des Typenvergleichs gerecht zu werden – vom deutschen Recht aus, so sind Beschlussfassungen über die Verwendung des Bilanzgewinns nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG beziehungsweise über die Verwendung des Ergebnisses des Jahresabschlusses nach § 46b Nr. 1, 1b GmbHG mit einfacher Mehrheit möglich.

Dementsprechend geht § 7 Abs. 2 AStG sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung von einer Anteilseignerschaft (bzw. Bezugsberechtigung im Falle selbstständiger Vermögensmassen) von über 50 % aus. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dem Steuerpflichtigen mehr als 50 % der Anteile (Nennwert) gehören, oder ob ihm aus anderen Gründen mindestens 50 % des Gewinns aus dem maßgeblichen Wirtschaftsjahr zustehen. Anteilseignerschaft und Gewinnanteilsanspruch können etwa dann auseinanderfallen, wenn die Gesellschaft Anteile ausgibt, die mit Vorzugsaktien entsprechend § 139 AktG vergleichbar sind. Im Sinne des AStG ist es unerheblich, ob die Mehrheitsbeteiligung am Nennwert des gezeichneten Kapitals oder an den Gewinnausschüttungen besteht. Beide Fälle führen für sich genommen („oder“) zur Beherrschung i.S.v. § 7 AStG.

Fallbeispiel

A ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und an einer LLC auf den Cayman Islands zu 60 % beteiligt. Das Operating Agreement der LLC legt fest, das A sich im Gegensatz zu den anderen Gesellschaftern nicht aktiv ins operative Geschäft einbringen muss, im Gegenzug allerdings ein Gewinnanspruch gekürzt wird. A stehen in jedem Wirtschaftsjahr jeweils 40 % des Gewinns der LLC zu. In diesem Fall erfolgt eine Hinzurechnungsbesteuerung, weil A am Nennkapital der LLC zu mehr als 50 % beteiligt ist und somit im Sinne des AStG als beherrschender Gesellschafter gilt.

B ist an einer Ltd. in Hong Kong zu 40 % beteiligt, hält allerdings Anteile, die nach Operating Agreement keine Stimmrechte vermitteln, dafür allerdings einen um 50 % höheren Gewinnanspruch (entspricht einer Vorzugsaktie i.S.v. § 139 AktG). Vom Bilanzgewinn von 200.000 € im maßgeblichen Wirtschaftsjahr stehen B somit 120.000 € zu, was 60 % des Bilanzgewinns entspricht. Auch B ist beherrschender Gesellschafter i.S.d. AStG und muss einen Gewinnanspruch unabhängig von der Ausschüttung im selben Wirtschaftsjahr versteuern.

Kumulation von Anteilen

Das Kriterium der Beherrschung scheint auf den ersten Blick eine relativ hohe Hürde für die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung darzustellen. Immerhin kann von einer Beherrschung in diesem Sinne erst bei einem Anteil von über 50 %, nicht von exakt 50 % gesprochen werden, da exakt 50 % nicht für einen alleinigen Beschluss über die Gewinnverwendung genügen. Bereits bei einer Auslandsgründung zu zweit mit jeweils exakt 50 % der Anteile würde die Hinzurechnungsbesteuerung für beide Gesellschafter nicht mehr greifen.

Das Problem: der Gesetzgeber mag Steuern. Und deswegen sieht er es ungern, wenn eine Steuer nicht greift – gerade im Ausland, wo er sich komfortabel an der Produktivität und den besseren wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen anderer Volkswirtschaften bereichern kann.

Das AStG kumuliert Anteile unter bestimmten Umständen, um die Beherrschungsschwelle künstlich herabzusetzen und die Hinzurechnungsbesteuerung häufiger zur Anwendung zu bringen. Wie diese Kumulation funktioniert, hat sich 2021 allerdings grundlegend geändert.

Alte Fassung

In der alten Fassung wurde der Beherrschungstatbestand nicht individuell, sondern bezogen auf alle unbeschränkt steuerpflichtigen Personen. Das bedeutet, dass die Anteile am Nennwert bzw. die anteiligen Ansprüche auf ausschüttungsgleiche Leistungen aller nach § 1 EStG und §§ 1, 3 KStG unbescränkt steuerpflichtigen natürlichen und juristischen Personen summiert werden. Die Höhe der individuellen Anteile ist dabei unerheblich.

(2) Unbeschränkt Steuerpflichtige sind im Sinne des Absatzes 1 an einer ausländischen Gesellschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt, wenn ihnen allein oder zusammen mit Personen im Sinne des § 2 am Ende des Wirtschaftsjahres der Gesellschaft, in dem sie die Einkünfte nach Absatz 1 bezogen hat (maßgebendes Wirtschaftsjahr), mehr als 50 Prozent der Anteile oder der Stimmrechte an der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind. Bei der Anwendung des vorstehenden Satzes sind auch Anteile oder Stimmrechte zu berücksichtigen, die durch eine andere Gesellschaft vermittelt werden, und zwar in dem Verhältnis, das den Anteilen oder Stimmrechten an der vermittelnden Gesellschaft zu den gesamten Anteilen oder Stimmrechten an dieser Gesellschaft entspricht; dies gilt entsprechend bei der Vermittlung von Anteilen oder Stimmrechten durch mehrere Gesellschaften. Ist ein Gesellschaftskapital nicht vorhanden und bestehen auch keine Stimmrechte, so kommt es auf das Verhältnis der Beteiligungen am Vermögen der Gesellschaft an.
(3) Sind unbeschränkt Steuerpflichtige unmittelbar oder über Personengesellschaften an einer Personengesellschaft beteiligt, die ihrerseits an einer ausländischen Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 beteiligt ist, so gelten sie als an der ausländischen Gesellschaft beteiligt.

Absatz 3 trägt der steuerlichen Transparenz von Personengesellschaften Rechnung. Es findet ein umfassender Durchgriff auf die dahinterstehende natürliche oder juristische Person statt.

Fallbeispiel

Die auf der Isle of Man ansässige X LLC erwirtschaftet im Veranlagungszeitraum (maßgebliches Wirtschaftsjahr) 2022 einen Gewinn von 1.000.000 US-Dollar. An dieser LLC sind der unbeschränkt steuerpflichtige A zu 2 %, die Y GbR zu 20 %, die Società semplice Z nach italienischem Recht zu 20 %, die unbeschränkt steuerpflichtige Q GmbH zu 20 % und die in Deutschland nicht steuerpflichtige U Ltd. zu 38 % beteiligt. An der Y sind B und C zu je 50 %, an der Z sind C und D zu jeweils 50 % beteiligt (B, C und D sind unbeschränkt steuerpflichtig). Die Anteile, die B, C und D durch ihre Personengesellschaften vermittelt werden, werden ihnen nach § 7 Abs. 3 AStG zugerechnet. Der ausländische Sitz der Z ist unbeachtlich, da es auf die Z als Rechtsträger nicht ankommt. Das bedeutet, dass die X LLC effektiv zu 2 % von A, zu 10 % von B, zu 20 % von C, zu 10 % von D und zu 20 % von Q gehalten wird. Alle in Deutschland steuerpflichtigen Personen halten zusammen 62 % der Anteile und haben einen Anspruch auf 620.000 USD vom Gewinn des Wirtschaftsjahres 2022. Somit werden A nach §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 AStG 20.000 USD, B 100.000 USD, C 200.000 USD und D 100.000 USD auf ihr persönliches Einkommen nach EStG und der Q nach § 21 Abs. 1 Nr. 1,2 AStG 200.000 USD auf ihren Gesellschaftsgewinn sowie auf ihren Gewerbeertrag nach §§ 7, 6 GewStG hinzugerechnet und von ihnen persönlich geschuldet.

Variante

Die Beteiligungsverhältnisse sind dieselben, allerdings ist C nun in Portugal und D in Estland und nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Die X wird nun nur zu 32 % von in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Personen gehalten. Die Ansässigkeit der Y GbR in Deutschland ist im Bezug auf C wiederum unbeachtlich, da es auf sie als Rechtsträger nicht ankommt (nicht persönlich steuerpflichtig). Die X ist nun, da C und D ihren Wohnsitz in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben, keine beherrschte Gesellschaft und ihre Gesellschafter unterliegen nicht der Hinzurechnungsbesteuerung.

Diese Ungleichbehandlung wirft nun sowohl im Hinblick auf Europa- als auch auf Verfassungsrecht Legitimationsfragen auf.


Exkurs: Inländerdiskriminierung im Europarecht

C und D sind im Beispielsfall nach deutschem Recht schlechter gestellt, wenn sie einen steuerlichen Wohnsitz in Deutschland haben. Aus europarechtlicher Perspektive ist dies prinzipiell kein Problem. Aus Art. 18 AEUV ergibt sich zwar ein allgemeines Diskriminierungsverbot anhand der Staatsbürgerschaft, das sich nach den Leitgedanken der Art. 45 ff. AEUV auch auf den Ort des Wohsitzes und der wirtschaftlichen Tätigkeiten erstreckt. Es ist also europarechtlich unzulässig, im europäischen Ausland ansässige Personen und Unternehmen rechtlich ohne konkrete Rechtfertigung schlechter zu stellen als im Inland ansässige. Der umgekehrte Fall aber, die Diskriminierung von im Inland ansässigen inländischen Staatsbürgern (bei ausländischen Staatsbürgern kommt wiederum Art. 18 AEUV in Betracht), ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seit einem Urteil vom 05.06.1997 (Az. C-64/96) nicht vom Schutzzweck des Europarechtes erfasst. Dass in Deutschland steuerrechtlich ansässige Personen gegenüber Einwohnern anderer EU-Mitgliedsstaaten schlechter gestellt sind, verstößt nicht gegen Europarecht.

Inländerdiskriminierung im Verfassungsrecht: das Reinheitsgebot

Die Erlaubnis zur Inländerdiskriminierung hatte der EuGH bereits vorab einmal in einem Urteil vom 12.03. 1987 (Az. Rs 178/84) erteilt. Demnach war es unzulässig, andere Getränke als solche, die der Definition des § 1 Abs. 2 des Biersteuergesetzes (BierStG) i.V.m. Position 2203 der kombinierten Nomenklatur (die Definition fand sich bis 2005 in § 9 Abs. 1 VorlBierG) entsprachen, unter der Bezeichnung „Bier“ in Umlauf zu bringen. Der EuGH betrachtete es als Verstoß gegen das Europarecht, dass in anderen Mitgliedsstaaten zugelassene Biere in Deutschland nicht unter dieser Bezeichnung vertrieben werden durften. Die strenge Anwendung der Defintion auf inländische Hersteller steht das Europarecht allerdings nicht entgegen, da diese nur im Verhältnis zu anderen Staaten durch das Europarecht geschützt sind. Innerhalb von Deutschland beschränkt sich ihre Schutzwürdigkeit auf ihre verfassungsmäßigen Rechte. Der deutsche Gesetzgeber setzte diese vom EuGH geschaffene Rechtslage mit der Neufassung von § 1 Abs. 1 und 2 der BierVO um: Deutsche Brauereien mussten das gesetzlich kodifizierte Reinheitsgebot einhalten, Brauereien aus dem europäischen Ausland nicht.

Am 24.02.2005 urteilte dann das BVerwG (Az. 3 C 5.04), dass die BierVO n.F. deutsche Brauerein in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG verletzt. Das BVerwG rügte hier zwar noch nicht ausdrücklich die Inländerdiskriminierung, schlug allerdings in der Folge dieser gegenüber einen neuen Kurs ein.


Am 31.08.2011 urteilte das BVerwG (Az. 8 C 9/10) dahingehend, dass die Diskriminierung von Inländern durch höhere rechtliche Hürden für die Ausübung eines Handwerkes durch (§ 7b HandwO gegenüber § 9 HandwO) nicht gegen den verfassungsmäßigen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG Abs. 1 verstößt. Somit war ein eindeutiger Präzedenzfall für die Verfassungskonformität von Inländerdiskriminierung geschaffen, sofern sie sich (wie im vorliegenden Fall für zutreffend befunden) am Maßstab des Art. 3 GG rechtfertigen lässt.

Das AStG folgt dem Leitgedanken, Steuervermeidung durch Wohnsitzverlagerung (§ 2 AStG, erweitert beschränkte Steuerpflicht) oder ausländische Zwischengesellschaften (§§ 7 ff. AStG) zu erschweren. Eine Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 GG ließe sich dann rechtfertigen, wenn sie aus einem sachlichen Grund erfolgt. Wesentlich strengere Rechtfertigungskriterien gelten bei Diskriminierung aufgrund personenbezogener Merkmale, die hier allerdings nicht relevant sind. Da allerdings jede in Deutschland steuerpflichtige Person aufgrund ihrer Grundfreiheiten aus Art. 45 ff. AEUV (Freizügigkeit) ohne weiteres ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern kann oder die Gründung ausländischer Zwischengesellschaften mit anderen EU-Bürgern vollziehen kann, hat die Unterscheidung im Hinblick auf den Zweck des AStG keinen Nutzen. Sie ist somit a priori ungeeignet, den gesetzlichen Zweck zu fördern.

Die Unterscheidung nach deutschem oder ausländischem Wohnsitz stellt im Sinne des Art. 3 GG eine sachbezogene, keine personenbezogene Diskriminierung dar. Dies ist für den Rechtfertigungsmaßstab erheblich. Eine personenbezogene Diskriminierung kann nur nach den strengen Grundsätzen der praktischen Konkordanz beziehungsweise einer Abwägung bei Grundrechtskollision gerechtfertigt werden. In diesem Falle müsste die Maßnahme verhältnismäßig sein, also einen legitimen Zweck in geeigneter (fördert Zweck tatsächlich), erforderlicher (minimale Eingriffsintensität) und angemessener (nach Interessenabwägung) Art und Weise verfolgen. Im Falle der sachbezogenen Diskriminierung genügt ein sachlicher Grund. Die Summierung der Anteile aller unbeschränkt Steuerpflichtigen soll die Umgehung des AStG durch einfache Methoden wie Holding-Gründungen unmöglich machen. Dies stellt, wenn man aus der etatistischen Perspektive heraus fingiert, das AStG diene einem in irgendeiner Form legitimen oder sinnvollen Zweck, durchaus einen sachlichen Grund dar.

Art. 3 GG hat allerdings, wie andere Grundrechte auch, einen sogenannten Wesensgehalt. Dies ist gewissermaßen der wertungsmäßige Kern eines Grundrechtes, der (in der Theorie) nicht angetastet werden darf (Art. 19 Abs. 2 GG). Das BVerfG hat sich mit Fragen des Wesensgehaltes des Art. 3 GG im Hinblick auf das Steuerrecht bereits im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Einkommen aus selbstständiger Arbeit nach § 18 EStG und Einkommen aus Gewerbebetrieb nach § 15 EStG auseinandergesetzt und folgenden zentralen Leitsatz formuliert:

Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen.
BVerfG 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014

Nun ließe sich angesichts der europäischen Grundgedanken der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit fragen, ob die Unterscheidung zwischen deutschen und anderen europäischen Beteiligten an einer ausländischen Gesellschaft nicht eine vollkommen willkürliche Unterscheidung darstellen. Den wirtschaftlichen Grundfreiheiten nach dem AEUV liegt gerade das Konzept zugrunde, internationalen wirtschaftlichen Aktivitäten für alle Europäer einen möglichst gleichen Rahmen zu geben. Auch wenn Inländerdiskriminierung europarechtlich nicht zu beanstanden ist, wirft diese Form der Ungleichbehandlung beim deutschen Steuerpflichtigen Fragen nach ihrer Rechtfertigung auf.

Ob das AStG nun tatsächlich verfassungswidrig war, ist aus ex post-Perspektive schwierig zu beurteilen. Die Bedenken jedenfalls scheinen so groß zu sein, dass sie selbst das Gewissen des Gesetzgebers belasteten (welches ansonsten ja, gerade in steuerlichen Fragen, über eine geradezu spektakuläre Resilienz verfügt). Die zitierte Fassung des Art. 7 AStG wurde grundlegend geändert.

Neue Fassung

Die aktuelle Fassung der § 7 Abs. 2 bis 4 AStG lautet folgendermaßen:

(2) Eine Beherrschung im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen allein oder zusammen mit ihm nahestehenden Personen am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft, in dem diese die Einkünfte nach Absatz 1 erzielt hat (maßgebendes Wirtschaftsjahr), mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses dieser Gesellschaft zusteht.
(3) Für Zwecke der §§ 7 bis 12 ist eine Person dem Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 nahestehend. Eine Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft ist selbst nahestehende Person, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 erfüllt.
(4) Unbeschadet des Absatzes 3 gelten Personen als dem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn sie mit ihm in Bezug auf die Zwischengesellschaft durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirken. Bei den unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschaftern einer Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft, die an einer Zwischengesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, wird ein Zusammenwirken durch abgestimmtes Verhalten widerlegbar unterstellt.

In Abs. 3 wird auf § 1 Abs. 2 AStG verwiesen, der regelt, wann eine Person als einem steuerpflichtigen nahestehend im Sinne des AStG gilt. Im wesentlichen werden hierbei juristische Personen erfasst, die in einem gewissen Beteiligungsverhältnis zum Steuerpflichtigen stehen.

Nr. 1: Die Person ist an dem einer steuerpflichtigen juristischen Person zu mindestens 25 % beteiligt oder hat einen entsprechenden Gewinnanspruch

Verhindert, dass eine steuerpflichtige juristische Person Anteile an an ihr beteiligte natürliche oder juristische Personen auslagern kann, um die Beherrschungsschwelle zu umgehen.

Nr. 2: Die Person kann auf den Steuerpflichtigen beherrschenden Einfluss ausüben oder umgekehrt

Neben gesellschaftsrechtlicher Beherrschung juristischer Personen sind auch etwa Arbeitsverhältnisse unter Weisungsbindung nach § 611a Abs. 1 BGB hier in Betracht zu ziehen. So kann etwa eine Kapitalverwaltungsgesellschaft keine Anteile an Arbeitnehmer auslagern, um die Schwelle zu umgehen.

Nr. 3: dieselben Konstellationen mit Dritten

Es ist nicht möglich, Dritte einzuschalten, die nicht persönlich unter Nr. 1, 2 oder 4 fallen. Diese werden dann in den Kreis der nahestehenden Personen miteinbezogen.

Nr. 4: Personen, die auf Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen Einfluss ausüben können, ohne dabei direkten Bezug zur Geschäftsbeziehungen zu haben

Kann meine Verlobte auf meine Geschäftsbeziehungen Einfluss ausüben? Lässt sich nicht leugnen. Und wenn sie meine Ehefrau wird? Dann erst recht. Spätestens hier sollten selbst etatistisch gesinnte Verfassungsrechtler langsam grün im Gesicht werden.

Besondere Aufmerksamkeit verdient an dieser Stelle auch § 7 Abs. 4 AStG, nach welchem prinzipiell jede geschäftliche oder private Kontaktperson in den Kreis der nahestehenden Personen einbezogen werden kann.

Verfassungsrechtliche Probleme

Eine steuerliche Benachteiligung nahestehender Personen wirft zunächst Bedenken im Hinblick auf Art. 6 GG, den Schutz der Familie, auf. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG soll wohl unzweifelhaft auf den engeren Familienkreis abzielen und verhindern, dass die Beherrschungsschwelle umgangen wird, indem Kinder oder Ehegatten Anteile an der ausländischen Zwischengesellschaft halten. Dies hat nun leider zwei fatale Implikationen im Hinblick auf die Familie:

a. Wenn ich vor der Entscheidung stehe, meine Lebensgefährtin, die auch Anteile an meinem ausländischen Unternehmen hält, zu ehelichen, könnten nun außensteuerliche Gründe dagegen sprechen. Zwar könnte sie auch vorher schon als nahestehende Person gelten, da sie meine geschäftliche Aktivität ja durchaus beeinflusst. Eine Eheschließung würde dieses außensteuerliche Risiko jedoch nochmals beträchtlich erhöhen.

b. Wenn ich mit dem Gedanken spiele, Anteile meines ausländischen Unternehmens zu übertragen, ist es für mich nun deutlich lukrativer, diese an Fremde zu verkaufen, als sie Gattin oder Kindern zu übertragen.

Die eigene Familie in seine internationalen geschäftlichen Aktivitäten mit einzubeziehen, wird nun also aus außensteuerlichen Gründen unattraktiv. Und das ausgerechnet in dem Land, das (nicht zu Unrecht) stolz auf seine große Bandbreite traditionsreicher und wirtschaftlich äußerst resilienter Familienunternehmen ist. Im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG dürfte dies eher weniger sein.

Zynischerweise ließe sich dem folgendes entgegenhalten: Eine spezifische Benachteiligung familiär nahestehender Personen findet im Grunde gar nicht statt, da der Begriff der nahestehenden Person so weit gefasst ist, dass die zuständige Finanzbehörde prinzipiell alles und jeden darunter fassen kann – siehe etwa das Beispiel der Lebensgefährtin, die auch vor der Eheschließung bereits ohne weiteres unter den Begriff der nahestehenden Person nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG gefasst werden kann. Diese recht schmale Interpretation des Schutzbereiches eines verfassungsmäßigen Rechtes mag sich hier absurd anhören, ist im deutschen Steuerrecht aber leider keine Ausnahme und wird in der Regel unter der Prämisse hingenommen, die Finanzbehörden würden ihre Befugnisse schon im verhältnismäßigen Rahmen ausüben. Es ist insofern fraglich, ob eine verfassungsrechtliche Gegenwehr gegen die Neufassung Aussicht auf Erfolg hätte – auch wenn die Norm an sich eindeutig auf tönernen Füßen steht.

Ein wunderbares Beispiel für die flexible Interpretation der Verfassung im Steuerrecht ist § 42 AO, der den deutschen Finanzbehörden den Freibrief gibt, Gesetze außer Kraft zu setzen, wenn legale Unternehmensstrukturen zur Reduktion der Steuerlast genutzt werden. Dass diese Vorschrift als mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar betrachtet wird, kann, um es milde auszudrücken, nur als kurios bezeichnet werden.

Modifikation durch Doppelbesteuerungsabkommen

Ein weiteres verfassungsrechtlich pikantes Detail liefert der Blick in § 20 Abs. 1 AStG:

(1) Die Vorschriften der §§ 7 bis 18 und des Absatzes 2 werden durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt.

Das bedeutet konkret, dass die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG auch dann greift, wenn das Besteuerungsrecht an den Gesellschaftsgewinnen aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens eindeutig und ausschließlich beim Sitzstaat des Unternehmens liegt.

Um diesen Aspekt zu verstehen, müssen wir uns die rechliche Natur von Doppelbesteuerungsabkommen vor Augen halten. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sind bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge. Völkerrechtliche Verträge kennen grundsätzlich nur Staaten als Rechtssubjekte (eine besonders sympathische Rechtsmaterie) und vermitteln natürlichen oder privatrechtlichen juristischen Personen keine subjektiven Rechte. Auch bei einem Verstoß gegen das Völkerrecht haftet der Staat nur den anderen Vertragsstaaten gegenüber. Da das DBA an sich keine subjektiven Rechte für Privatpersonen begründet, bestehen für diese auch keine unmittelbaren Möglichkeiten des Rechtsschutzes.

Rechtsschutz gegen den vertragsbrüchigen Staat wäre lediglich durch eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG oder eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG vor dem Bundesverfassungsgericht zu erlangen. Diese Rechtsbehelfe setzen voraus, dass der Beschwerdeführer sich einer seine verfassungsmäßigen Rechte belastenden Maßnahme ausgesetzt sieht, die auf einem verfassungswidrigen hoheitlichen Akt beruht. Wichtig ist hierbei, dass das Bundesverfassungsgericht ausschließlich am Maßstab des Verfassungsrechtes prüft, nicht am Maßstab untergeordneter Rechtsnormen. Der Verstoß gegen ein DBA lässt sich also nur dann verfassungsgerichtlich angreifen, wenn er zugleich einen Verstoß gegen das Grundgesetz und aus diesem hergeleitete subjektive Rechte darstellt.

Treaty Override durch nationale Gesetzgebung

Das Völkerrecht ist an zwei Punkten im Grundgesetz verankert: zum einen in Art. 25 GG, der allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechtes unmittelbaren rechtsverbindlichen Charakter und Vorrang vor dem Gesetz einräumt, und zum anderen in Art. 59 Abs. 2 GG, nach dem völkerrechtliche Verträge durch ein entprechendes Gesetz in Bundesrecht zu überführen sind. Bei DBA handelt es sich um völkerrechtliche Verträge i.S.v. Art. 59 Abs. 2 GG, die durch den parlamentarische Zustimmungsbeschluss in den Rang einfachen Bundesrechtes überführt wird. Das Außensteuergesetz ist ebenfalls einfaches Bundesrecht und somit ranggleich mit den parlamentarisch bestätigten DBA. In diesem Fall gilt der Grundsatz lex posterior derogat legi anteriori: das neuere ranggleiche Gesetz verdrängt das ältere.

Der Erlass von § 20 Abs. 1 AStG setzt also jedenfalls unstreitig alle davor parlamentarisch bestätigten DBA außer Kraft. Dies stellt einen Fall des sogenannten Treaty Override dar: ein nationales Gesetz überschreibt nachträglich das Abkommen, das durch die parlamentarische Zustimmung bereits im nationalen Recht verankert war.

Ein Treaty Override verstößt gegen Völkerrecht, denn auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz pacta sunt servanda: Verträge sind einzuhalten. Damit ist allerdings noch nichts zur Verfassungskonformität eines Treaty Override gesagt. Am 15.12.2015 hat das Bundesverfassungsgericht über eine Richtervorlage aus der Finanzgerichtsbarkeit entschieden (Az. 2 BvL 1/12), die die Vereinbarkeit von § 50d EStG mit Art. 15 des DBA zwischen Deutschland und der Türkei von 1985 überprüft sehen wollte.

Das BVerfG stellte in seinem Beschluss klar, dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit zwar im Grundgesetz angelegt und durch Art. 25 GG auch ausdrücklich repräsentiert ist. Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass jeder völkerrechtliche Vertrag per se Verfassungsrang hat und im gleichen Maße schutzwürdig ist. Diese Auffassung stützt sich unter anderem auf den Umkehrschluss aus Art. 25, 59 Abs. 2 GG: die Unterscheidung zwischen allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechtes und völkerrechtlichen Verträgen wäre gegenstandslos, wenn sie mittelbar über den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes doch gleich behandelt würden. Hinzu tritt, dass die innerhalb von Deutschland gewählte Gesetzgebung keinen umfassenden Beschränkungen durch Verträge mit anderen Staaten unterworfen werden kann, sondern die Möglichkeit haben muss, die Rechtslage im Rahmen ihrer Kompetenzen zu revidieren. Würden völkerrechtliche Verträge dauerhafte unmittelbare Bindungswirkung entfalten, würde dies eine erhebliche Beschränkung des Demokratieprinzipes aus Art. 20 Abs. 2 GG darstellen. Ein Verstoß gegen einen völkerrechtlichen Vertrag durch einen Treaty Override im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren des Bundes stellt auch keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzipes nach Art. 20 Abs. 3 GG dar, da der erste Halbsatz dieses Gebotes speziell hervorhebt, dass für die legislative Gewalt des Bundes der Maßstab des Verfassungsrechtes gilt. Da völkerrechtliche Verträge eben keinen Verfassungsrang haben (auch Grundsätze des Völkerrechtes i.S.v. Art. 25 GG haben keinen Verfassungsrang, sie gehen lediglich den einfachen Bundesgesetzen vor und stehen somit unmittelbar unter der Verfassung), ist die Legislative auch durch das Rechtsstaatsprinzip nicht an sie gebunden.

Im Klartext bedeutet das: ein Bundesgesetz, das gegen ein DBA verstößt, kann von Privatpersonen und -unternehmen nicht angegriffen werden. Insbesondere besteht keine Möglichkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Der Gesetzgeber kann einmal geschlossene DBA nach Belieben wieder abändern und muss sich allenfalls einer ausländischen Regierung gegenüber erklären.

DBA und Landessteuerrecht

In einer anderen Konstellation ist subjektiver Rechtsschutz aufgrund eines DBA prinzipiell denkbar. DBA haben nach Art. 59 Abs. 2 GG den Rang einfacher Bundesgesetze und können nach dem lex posterior-Grundsatz nachträglich durch einfache Bundesgesetze überschrieben werden. Dies gilt allerdings nicht für Landesgesetze. Art. 31 GG regelt in dieser Konstellation:

Bundesrecht bricht Landesrecht.

Das bedeutet, dass ein Landessteuergesetz, das gegen ein DBA verstößt, vom DBA, den parlamentarischer Zustimmungsbeschluss vorausgesetzt, als höherrangiges Recht dem Landesrecht vorgeht und somit sämtliche Verwaltungsakte (z.B. Steuerbescheide), die aufgrund des betreffenden Landesgesetzes ergehen, rechtswidrig sind. In diesem Fall hätte ein gerichtliches Vorgehen gegen den Verwaltungsakt bzw. das Landesgesetz unter Berufung auf das DBA gegebenenfalls Erfolgsaussichten.

Das Problem in der Praxis ist, dass nahezu keine relevante Steuer allein aufgrund von Landesgesetzen erhoben wird. Selbst die Gewerbesteuer, die nach §§ 1, 4 GewStG eine reine Gemeindesteuer ist, beruht auf einem Bundesgesetz. Ebenfalls auf Bundesgesetzen beruhen diejenigen Steuern, die in der Praxis den Großteil der Steuerbelastung für Privatpersonen und -unternehmen ausmachen, wie die Umsatzsteuer (UStG), die Einkommenssteuer, auch in der Erhebungsform der Lohnsteuer (EStG), die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ErbStG) sowie die Körperschaftssteuer (KStG). So gut wie jeder Steuerbescheid auf Landesebene hat seine Grundlage in letzter Instanz in einem Bundesgesetz, weswegen das Vorgehen gegen ein Landessteuergesetz in der Praxis kaum jemals Abhilfe schaffen wird. Somit ist der Nutzen von DBA als Grundlage subjektiver Rechtsschutzansprüche praktisch gesehen zu vernachlässigen. Wer sein Unternehmen auf Grundlage eines DBA strukturiert, muss sich immer vor Augen halten, dass er sich damit auf die Völkerrechtstreue des Gesetzgebersgebers verlässt und nicht auf durchsetzbare subjektive Rechte.

Beteiligung an ausländischen Investmentfonds

Im Bezug auf Doppelbesteuerungsabkommen findet sich in § 7 Abs. 5 AStG noch eine weitere Falle: nach dieser Vorschrift gelten die Regelungen über die Hinzurechnungbesteuerung nicht, wenn es sich bei der ausländischen Zwischengesellschaft um einen Investmentfonds im Sinne von § 1 Abs. 2 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Kapitalanlagengesetzbuches (KAGB) handelt. Das InvStG hat in diesem Fall Vorrang vor dem AStG, wodurch im Regelfall die reguläre Kapitalerstragssteuer nach §§ 20, 32d EStG fällig wird und keine Hinzurechnungsbesteuerung erfolgt.

Probleme können sich allerdings ergeben, wenn das vorrangige InvStG aufgrund eines DBA, welches das Besteuerungsrecht dem Sitzstaat (Drittstaat) der Fondsgesellschaft zuweist, nicht anwendbar ist. In diesem Fall würde

    1. das vorrangige InvStG durch das DBA verdrängt
    2. anschließend aber das DBA durch das AStG verdrängt (§ 20 Abs. 1 AStG).

In dieser Konstellation könnten die im Ausland (nach DBA i.V.m. ausländischem Steuergesetz) gezahlten Steuern nach § 20 Abs. 2 AStG auf die Hinzurechnungssteuer nach §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 AStG angerechnet werden, grundsätzlich wird eine Hinzurechnungssteuer allerdings fällig.

Steuerfrei leben in Deutschland?

Wird es mit dieser Änderung des AStG möglich, in Deutschland steuerfrei zu leben? Die Antwort ist ein klares Nein. Diese Hoffnung wurde bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung das eine oder andere Mal geäußert. Der Wortlaut verdeutlicht allerdings, das trotz der vermeintlichen Lockerung der Kriterien (Anteile werden individuell gewertet und nicht rein nach steuerlicher Ansässigkeit kumuliert) der Anwendungsbereich des § 7 AStG in der Praxi eher noch größer werden dürfte als bisher. Hinzu tritt die Tatsache, dass selbt bei Unterschreitung der Beherrschungsschwelle nur die Hinzurechnungsbesteuerung entfällt. Die Gewinnanteile wären in der Folge also bei tatsächlicher Ausschüttung als Einkommen des Gesellschafters zu versteuern. Steuerfreie Thesaurierung würde möglich, was für zukunftsorientierte Unternehmen definitiv einen Gewinn darstellt. Leider wird selbst bei Unterschreitung der Beherrschungsschwelle sicherlich eine erhöhte bürokratische Belastung auf die in Deutschland ansässigen Gesellschafter zukommen – da Finanzämter erfahrungsgemäß ihre Ermessensspelräume großzügig interpretieren und somit etwa häufiger Exkulpationen im Sinne von § 7 Abs. 4 AStG einfordern werden.

Fazit

Auch die einzige vermeintliche Lockerung des AStG, welche der Gesetzgeber in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, ist keine Lockerung, sondern in den meisten Fällen eine heftige Verschärfung des Außensteuerrechtes. Dass der Gesetzgeber das AStG zudem auch über alle völkerrechtlichen Verträge stellt und für die Verschärfung der Wegzugsteuer das Europarecht bricht (Wegfall der Stundung), kann nur als Skrupellosigkeit aufseiten des Gesetzgebers bezeichnet werden.

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