In Honduras entsteht derzeit die erste freie Privatstadt auf Initiative der Free Private Cities Foundation. In einer freien Privatstadt tritt ein gewerblicher Dienstleister an die Stelle des Staates. Das bedeutet, dass Regeln nicht durch Gesetz geändert werden können. Die Regeln werden durch einen einvernehmlichen Vertrag festgelegt – und können nur durch einen einvernehmlichen Vertrag geändert werden.
Die Wirtschaftsrechtsordnung freier Privatstädte wird typischerweise im Vergleich zu der herkömmlicher Staaten tendentiell sehr liberal sein – insbesondere können Regulierungen und Auflagen nicht einseitig verschärft und Steuern nicht einseitig erhöht werden. Dies alles macht freie Privatstädte für Unternehmen zu sehr interessanten Standorten.
Anlässlich des Baubeginns in Próspera hat Unternehmensrecht Aktuell RA Dr. Michael J. Ulmer zum Projekt befragt. Michael J. Ulmer ist Partner bei der international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei Cleary Gottlieb und Botschafter der Free Private Cities Foundation in Frankfurt.
UA: In Honduras entsteht derzeit die erste freie Privatstadt auf der Insel Roatán. Was ist die grundlegende Idee einer freien Privatstadt und wie ist dies im konkreten Falle rechtlich ausgestaltet?
Die Idee der Free Private Cities geht darauf zurück, dass es Individuen möglich sein soll, die Rahmenbedingungen ihres Lebens und Tätigseins selbst zu gestalten. Es soll ein Angebot geschaffen werden, das Interessierte auf Grundlage eigener Entscheidung annehmen können. Sie unterwerfen sich keinem Souverän sondern treten dem Anbieter der Free Private City wie auch deren übrigen Bürgern gleichberechtigt und auf Augenhöhe gegenüber. Alle vereinbaren miteinander, wie sie ihr Leben und Zusammensein ausgestalten wollen. Es gibt ein Angebot an Organisation, an gesellschaftlicher Infrastruktur, das auf das Nötigste reduziert ist und für das sich jeder frei entscheiden kann. Individuelle Freiheit soll so maximal entfaltbar sein.
In rechtlicher Hinsicht erfordert die Free Private City ein Abkommen zwischen dem Anbieter der Free Private City und dem jeweiligen Souverän, durch welches der Souverän dem Anbieter das Betreiben der Free Private City in seinem Hoheitsgebiet mit der entsprechenden Autonomie ermöglicht. Der Betreiber der Free Private City schließt dann mit den Bürgern einen Bürgervertrag. Auf dessen Grundlage akzeptiert der Bürger die auf das Nötigste reduzierte Organisationsstruktur der Private City, um im Gegenzug maximale persönliche Freiheit zu genießen. Er entscheidet sich frei für das selbstgesetzte Rechtssystem der Free Private City und unterwirft sich nach eigener Entscheidung den dort eingesetzten Schiedsgerichten.
In Próspera gibt es keinen Hoheitsträger im herkömmlichen Sinne, klassische Staatsfunktionen werden von privaten Anbietern bereit gestellt. Als Rahmenvereinbarung wird ein Bürgervertrag geschlossen, der auch die Grundlage für die Besteuerung bildet. Wodurch zeichnet sich solch ein Bürgervertrag aus? Gibt es einen bekannten privatrechtlichen Vertragstyp, mit dem er sich vergleichen lässt?
Der Bürgervertrag bildet die Grundlage des Lebens und Tätigwerdens in der Free Private City. Er regelt die Bedingungen, unter denen der Einzelne die Vorzüge der Free Private City in Anspruch nehmen kann, sein Verhältnis zum Betreiber der Free Private City wie auch zu deren anderen Bürgern. Es ist ein Vertrag eigener Art, der einerseits die Qualität einer Verfassung hat, andererseits aber unter Gleichberechtigten privatschriftlich vereinbart wird. Der Einzelne tritt aus freien Stücken der Gemeinschaft bei, die sich mit dem Bürgervertrag selbst verfasst. Der Bürgervertrag ist somit eine Art „Gesellschaftsvertrag“.
Wo, schätzen Sie, werden sich besondere Herausforderungen in einer rein vertragsbasierten Verwaltung ohne Hoheitsrechte ergeben?
Die Free Private Cities stehen noch am Anfang ihrer Geschichte. Das System wird vor viele Herausforderungen gestellt sein, von denen die wenigsten bereits bekannt sind. Sicherlich wird eine Anpassung des Bürgervertrags an sich über die Zeit hinweg ändernde Gegebenheiten nicht unkritisch sein. Da sich den Free Private Cities jedoch Individuen anschließen werden, die ein System der Selbstverwaltung grundsätzlich staatlich verfasster Hoheit vorziehen, rechne ich mit einem gewissen Grad an Goodwill bei den Beteiligten, der diese Herausforderungen meistern lässt.
Wie genau sind Justiz und Rechtsprechung organisiert? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus Einwohnersicht in einer vertragsbasierten Justiz?
Mit unabhängigen Rechtsexperten besetzte Schiedsgerichte werden über auftretende Rechtsstreitigkeiten entscheiden. Auch ein kurzer Instanzenzug ist vorgesehen. Dennoch sollte es zu schnellen Entscheidungen kommen. Diese basieren auf einem Rechtssystem, für das die Betroffenen sich durch den Bürgervertrag selbst entschieden haben. Das sorgt für entsprechende Akzeptanz.
Honduras hat ein erhebliches Maß an Hoheitsrechten an die Sonderverwaltungszone Próspera abgetreten. Welche Rahmenbedingungen müssen typischerweise vorliegen, damit herkömmliche herrschaftsbasierte Staaten sich zu so etwas bereit erklären? Was konkret versprechen sich Staaten wie Honduras davon?
Die mit den Free Private Cities einhergehenden Möglichkeiten ziehen unternehmerische Persönlichkeiten an. Sie werden sich zu wirtschaftlich starken Hubs innerhalb des Gaststaates entwickeln. Das kann zu einem bedeutenden Schub auch für die Wirtschaft des Gaststaates führen; durch wirtschaftliche Interaktion mit der Free Private City, durch die Nutzung der auf die Free Private City zurückgehenden Infrastruktur bis hin zu dort auch für die Bevölkerung des Gaststaates entstehenden Arbeitsplätzen. Schließlich werden auch die Bürger der Free Private City im Gaststaat unterwegs sein.
Legen wir nun den Fokus auf die Unternehmerperspektive. Die Internetseiten der Free Private Cities Foundation sowie auch die von Próspera sprechen insbesondere Unternehmer an. Welche Vorteile hat es, seine Firma in einer Stadt wie Próspera zu betreiben? Könnte man Freie Privatstädte als ein Konzept “von Unternehmern für Unternehmer” bezeichnen?
Die Möglichkeit, ein Unternehmen in einem Umfeld zu betreiben, das die Entfaltung unternehmerischer Freiheit zur Grundlage hat, Gleichgesinnte anzieht und am „Ermöglichen“ interessiert ist, lässt Unternehmern freie Hand dort, wo sie sich andernorts teilweise „überreguliert“ sehen. Das setzt Energien frei, die ansonsten von langen Genehmigungsverfahren und intensiven Bürokratien aufgesogen werden. Nicht jeder Bürger einer Free Private City muss sich dort unternehmerisch betätigen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dieses Angebot insbesondere von unternehmerischen Persönlichkeiten aufgegriffen und das Konzept der Free Private Cities so zum Erfolg geführt wird.
Welche vertraglichen Rahmenbedingungen müsste eine Free Private City Ihrer Ansicht mit Unternehmen vereinbaren, damit der Markt möglichst frei und unreguliert bleibt, zugleich aber Betrug und Rechtsmissbrauch effektiv begegnet werden kann?
Die auf Grundlage des Bürgervertrags vereinbarten rechtlichen Rahmenbedingungen für das Leben und für die unternehmerische Tätigkeit in der Free Private City werden geleitet vom Bestreben, nur das Erforderliche zu regeln. Es soll ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der „ermöglicht“, indem er dem Einzelnen eine Grundlage zur freien Entfaltung bietet. Es soll genau so viel Rahmen gesetzt werden, wie es von den Bürgern, Unternehmern wie auch sonstigen Bürgern der Free Private City, als erforderlich empfunden wird, um ihre Freiheiten langfristig und sicher nutzen zu können.
Wo sehen Sie die größten Vorteile für Arbeitnehmer in einem weitgehend unregulierten Arbeitsmarkt? Worauf sollte ein Arbeitnehmer in seinem Vertrag besonders achten, um von dem flexibleren rechtlichen Rahmen optimal zu profitieren?
Der Vorteil für Arbeitnehmer ist darin zu sehen, dass auch sie ihr jeweiliges Arbeitsverhältnis weitgehend frei ausgestalten können. Der Arbeitsmarkt in den Free Private Cities sollte es aufgrund der wachsenden Nachfrage nach Arbeitnehmern erlauben, eine marktgerechte Gegenleistung für gute Arbeit zu verhandeln. Die den Unternehmen gewährte Freiheit fördert Gewinne. An diesen kann teilhaben, wer seinen Beitrag zu deren Entstehung leistet. Um für Arbeitnehmer attraktiv zu sein, werden die aus den Free Private Cities heraus tätigen Unternehmen Angebote machen, die tendenziell über dem außerhalb der Free Private Cities Angebotenen liegen. Ansonsten fehlt Ihnen die Arbeitskraft, um ihre Freiheiten optimal wirtschaftlich nutzen zu können. Als Arbeitnehmer sollte man besonderen Augenmerk darauf legen, von der wirtschaftlichen Entwicklung des Arbeitgebers profitieren zu können.
Und zu guter Letzt: Was hat Sie persönlich dazu bewegt, Botschafter der Free Private Cities Foundation zu werden? Welche Chancen sehen Sie persönlich, speziell aus Ihrer Perspektive als Spezialist für Wirtschaftsrecht?
Die Idee der Free Private Cities empfinde ich als reizvoll. Sie trägt das Konzept des Contrat Social in die Moderne und bietet so eine Alternative zu bestehenden Gesellschaften. Darüber nachzudenken, wie die Ausgestaltung einer Free Private City den Genuss individueller Freiheit fördern kann, ist in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll – und jedem Einzelnen bietet sich mit den Free Private Cities eine weitere Möglichkeit, sein Leben zu gestalten. Dass ich Wirtschaftsrechtler bin, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Klingt interessant. Aber hat das alles nicht auch einen Haken?